Giovanni Battista Emanuele Maria Segatini (der sich erst in Mailand, als er dort studierte, in Segantini umbenannte) gilt als der Maler der Bündner Berge. "Voglio vedere le mie montagne", sollen seine letzten Worte gewesen sein als er 1899, gerade erst 41-jährig, in einer Berghütte auf dem Schafberg starb.
Diese Berge nun, so wie er sie gesehen und gemalt hat, zeigt uns dieser schön ausgestattete Band der Beyeler Museum AG, Riehen/Basel. Doch dieser Band zeigt uns mehr als Berge und Stimmungsbilder vom Leben in der Bergwelt: wir finden darin auch Porträts, Selbstporträts, Bilder von fischenden Knaben, von Booten, einer Brücke und vielem anderen mehr, und Fotos, ja Fotos, die erst vor kurzem gefunden worden sind, sowie erhellende Texte, in denen wir unter anderem lesen: "Die so wichtig gewordene ökologische Bewegung gründet nicht zuletzt auf Bildern wie den von Segantini geschaffenen Bergwelten" (Ulf Küster). Man staunt (und fragt sich, ob man das glauben soll), liest weiter und erfährt: "Segantini arbeitete vornehmlich draussen in der Landschaft, die ihm Atelier und Arbeitsort zugleich war" (Beat Stutzer). Annie-Paule Quinsac konkretisiert das dann so: "Segantini dachte und komponierte umgeben von Natur mittels Farbe, Volumen und Textur. Er benutzte lange Pinselstriche, mit denen er die Formen gleichsam flocht, und erzeugte mithilfe von Komplementärfarben wie in einem Gobelin oder mit kurzen, in nervöser Manier auf die Leinwand schraffierten Strichen Leuchtkraft."
Die Leuchtkraft von Segantinis Bildern ist in der Tat aussergewöhnlich. Man schaue sich etwa an, wie er "Il Naviglio a Ponte San Marco" an, oder "Ave Maria a trasbordo" oder "Costume grigionese" oder ... gemalt hat.
Patrick Stoffel kommt in seinen Betrachtungen zur Bergwelt zum Schluss, dass Segantinis Alpenbilder "oszillieren zwischen einem in der menschlichen Praxis beheimateten Lebensraum Alpen, der den Menschen aufnimmt und hegt, und einer dieser Praxis entzogenen Sphäre, worin die Alpen dem Menschen als das Andere des Lebens schweigend entgegentreten." Blättert man nach diesen Sätzen weiter und lässt die unmittelbar nachfolgenden Bilder ("La raccolta del fieno", "Primavera sulle Alpi", "Ramo di cembro", Pianta di cembro") auf sich wirken, kann man diese Einschätzung bestens nachvollziehen.
Wie es Segantini einmal selber formulierte: "Ich strebte immer weiter hinauf in die Höhen. Von den Hügeln ging ich zu den Bergen unter die Bauern, die Hirten, zu den Bewohnern des Hochgebirges. In jenem Lande lenkte ich kühner mein Auge auf zur Sonne, deren Strahlen ich liebte, die ich mir erobern wollte. Hier war es, wo ich am tiefsten die Natur in ihren lebendigsten Formen und in ihren leuchtendsten Farben studierte."
Was übrigens ganz speziell lohnt in diesem Band, ist der Text von Diana Segantini, der Urenkelin des Malers, die im Segantini-Haus in Maloja lebt und sich "auf die Texte und Briefe der Bündner Periode" konzentriert. Hier ein Auszug aus einem Brief an die italienische Schriftstellerin Neera: " (...) ich (habe) wirklich gelebt, ohne in den Büchern zu studieren, sondern immer beobachtend und nachdenkend. Ich habe die sogenannte Welt gekannt und all ihre sozialen Schichten nicht von fernher, sondern ich lebte darin als Mitglied und erfuhr so alle ihre Leidenschaften, ihre Schmerzen, ihre Freuden, ihre Hoffnungen, (...) ich habe die ganze unendliche Ebene der Traurigkeit und des Schmerzes durchschritten. (...) Ich blieb davon angeekelt, verzagt und müde, mit verlorenem Glauben, zerrissenen Herzens und mit der klaren Vorstellung zurück, dass die Gesellschaft ein elendes Ding sei, und nur da, wo sie nicht böse, dumm und empfindungslos ist, das Leben Wert haben kann durch den Genuss intellektueller Empfindungen. Das ist der Grund, weshalb ich einsam wurde." Seine Urenkelin ergänzt diese Passage mit folgenden Sätzen: "Seine südliche Herkunft, die Staatenlosigkeit, sein Temperament und sein Einstehen für Gerechtigkeit und Schwächere bringen ihm aber Neid und Missgunst im kleinen katholischen Savognin ein."
Summa summarum: ein Band, der wärmstens empfohlen sei.
Segantini
Hatje Cantz, Ostfildern 2011
http://www.hatjecantz.de/
Diese Berge nun, so wie er sie gesehen und gemalt hat, zeigt uns dieser schön ausgestattete Band der Beyeler Museum AG, Riehen/Basel. Doch dieser Band zeigt uns mehr als Berge und Stimmungsbilder vom Leben in der Bergwelt: wir finden darin auch Porträts, Selbstporträts, Bilder von fischenden Knaben, von Booten, einer Brücke und vielem anderen mehr, und Fotos, ja Fotos, die erst vor kurzem gefunden worden sind, sowie erhellende Texte, in denen wir unter anderem lesen: "Die so wichtig gewordene ökologische Bewegung gründet nicht zuletzt auf Bildern wie den von Segantini geschaffenen Bergwelten" (Ulf Küster). Man staunt (und fragt sich, ob man das glauben soll), liest weiter und erfährt: "Segantini arbeitete vornehmlich draussen in der Landschaft, die ihm Atelier und Arbeitsort zugleich war" (Beat Stutzer). Annie-Paule Quinsac konkretisiert das dann so: "Segantini dachte und komponierte umgeben von Natur mittels Farbe, Volumen und Textur. Er benutzte lange Pinselstriche, mit denen er die Formen gleichsam flocht, und erzeugte mithilfe von Komplementärfarben wie in einem Gobelin oder mit kurzen, in nervöser Manier auf die Leinwand schraffierten Strichen Leuchtkraft."
Die Leuchtkraft von Segantinis Bildern ist in der Tat aussergewöhnlich. Man schaue sich etwa an, wie er "Il Naviglio a Ponte San Marco" an, oder "Ave Maria a trasbordo" oder "Costume grigionese" oder ... gemalt hat.
Patrick Stoffel kommt in seinen Betrachtungen zur Bergwelt zum Schluss, dass Segantinis Alpenbilder "oszillieren zwischen einem in der menschlichen Praxis beheimateten Lebensraum Alpen, der den Menschen aufnimmt und hegt, und einer dieser Praxis entzogenen Sphäre, worin die Alpen dem Menschen als das Andere des Lebens schweigend entgegentreten." Blättert man nach diesen Sätzen weiter und lässt die unmittelbar nachfolgenden Bilder ("La raccolta del fieno", "Primavera sulle Alpi", "Ramo di cembro", Pianta di cembro") auf sich wirken, kann man diese Einschätzung bestens nachvollziehen.
Wie es Segantini einmal selber formulierte: "Ich strebte immer weiter hinauf in die Höhen. Von den Hügeln ging ich zu den Bergen unter die Bauern, die Hirten, zu den Bewohnern des Hochgebirges. In jenem Lande lenkte ich kühner mein Auge auf zur Sonne, deren Strahlen ich liebte, die ich mir erobern wollte. Hier war es, wo ich am tiefsten die Natur in ihren lebendigsten Formen und in ihren leuchtendsten Farben studierte."
Was übrigens ganz speziell lohnt in diesem Band, ist der Text von Diana Segantini, der Urenkelin des Malers, die im Segantini-Haus in Maloja lebt und sich "auf die Texte und Briefe der Bündner Periode" konzentriert. Hier ein Auszug aus einem Brief an die italienische Schriftstellerin Neera: " (...) ich (habe) wirklich gelebt, ohne in den Büchern zu studieren, sondern immer beobachtend und nachdenkend. Ich habe die sogenannte Welt gekannt und all ihre sozialen Schichten nicht von fernher, sondern ich lebte darin als Mitglied und erfuhr so alle ihre Leidenschaften, ihre Schmerzen, ihre Freuden, ihre Hoffnungen, (...) ich habe die ganze unendliche Ebene der Traurigkeit und des Schmerzes durchschritten. (...) Ich blieb davon angeekelt, verzagt und müde, mit verlorenem Glauben, zerrissenen Herzens und mit der klaren Vorstellung zurück, dass die Gesellschaft ein elendes Ding sei, und nur da, wo sie nicht böse, dumm und empfindungslos ist, das Leben Wert haben kann durch den Genuss intellektueller Empfindungen. Das ist der Grund, weshalb ich einsam wurde." Seine Urenkelin ergänzt diese Passage mit folgenden Sätzen: "Seine südliche Herkunft, die Staatenlosigkeit, sein Temperament und sein Einstehen für Gerechtigkeit und Schwächere bringen ihm aber Neid und Missgunst im kleinen katholischen Savognin ein."
Summa summarum: ein Band, der wärmstens empfohlen sei.
Segantini
Hatje Cantz, Ostfildern 2011
http://www.hatjecantz.de/
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