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Leonardo da Vinci hat mich immer schon
fasziniert. Ein Universalgelehrter, kein Spezialist. Kaum vorstellbar
im heutigen Zeitalter der Experten, wo man diesen Zeichner, Maler,
Bildhauer, Konstrukteur und Naturphilosophen (die Aufzählung ist
weder abschliessend noch vollständig) vermutlich als jemanden
eingeschätzt hätte, der sich nicht entscheiden könne.
Meine da Vinci Faszination gründet
unter anderem auf die Tatsache, dass sich Freud (dem wir die
Erkenntnis verdanken, dass der Mensch nicht Herr in seinem eigenen
Haus ist – eine Erkenntnis übrigens, die kaum zu Konsequenzen
geführt hat) für Dmitri Mereschkowskis historischen da Vinci Roman
begeisterte sowie auf den ihm zugeschriebenen Satz aus einem
amerikanischen Mediationsbüchlein, der auf grundsätzlich
Wesentliches verweist: „Oh Lord, thou givest us everything, at the
price of an effort.“ Übrigens: der Mann arbeitete nicht selten 18
Stunden pro Tag.
Der nun vorliegende zweibändige Überblick „mit
großen, ganzseitigen Detailansichten von Leonardos Meisterwerken
lässt den Leser die feinsten Facetten seines Pinselstrichs erkunden“
, schreibt der Verlag.
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Es gibt bekanntlich
ganz verschiedene Arten sich mit Bildbänden auseinanderzusetzen. Ich
entscheide mich fürs Erste zum ziellosen Blättern im ersten der
beiden Bände, den Gemälden. Meine Augen bleiben bei verschiedenen
Madonnen hängen, beim Abendmahl und bei Aussagen wie diesen: „Es
gibt vielleicht auf der ganzen Welt kein anderes Beispiel eines solch
universalen, solch erfinderischen Geistes, der gleichzeitig so
unfähig war, sich selbst zufriedenzustellen, so voller Sehnsucht
nach dem Unendlichen, so natürlich verfeinert, so weit seinem
Jahrhundert und den folgenden voraus. Seine Figuren drücken
unfassbare Empfindsamkeit aus und erscheinen unglaublich
durchgeistigt; sie überborden von unausgedrückten Ideen und
Empfindungen.“ (Hippolyte Taine, 1866). Mit diesen Sätzen im Kopf
gucke ich mir noch einmal das „Porträt der Ginevrade' Benci, um
1478-1480“ an und sehe nun genau das, was
Hippolyte Taine mir vorgegeben hat, und zwar ganz besonders gut, weil
mir auch grossflächige Ausschnitte davon gezeigt werden.
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Band zwei, das zeichnerische Werk, wird
von Frank Zöllner und Johannes Nathan kenntnisreich eingeleitet
(Band eins von Frank Zöllner). Besonders auffällig ist die enorme
Vielfältigkeit sowohl in technischer, formaler als auch inhaltlicher
Hinsicht. So finden sich etwa Studien zu Reitermonumenten und
Pferden, zu Technik und Mechanik, Architektur, Pflanzen wie auch
Zeichnungen zu Anatomie und Kartographie. Speziell beeindruckt war
ich von den Gewandstudien. Johannes Nathan weist in seinem
Begleittext darauf hin, dass die Zuschreibung von Kunstwerken der
Renaissance noch heute Schwierigkeiten bereitet, da im 15.
Jahrhundert Werke nicht signiert wurden. Man behilft sich mit
Zeichenstil, verwendeten Materialien sowie Quellenzeugnissen.
Die beiden Bände sind in drei Teile
gegliedert. Teil 1 behandelt Leonardos Leben und Werk in zehn
Kapiteln, wobei alle seine Gemälde eingehend beschrieben und
gedeutet werden – eine wunderbar lehrreiche Lektüre. Teil 2
besteht aus einem Werkverzeichnis der Gemälde. Teil 3 ist ein
ausführliches Verzeichnis seiner Zeichnungen; eine Auswahl von 663
aus Tausenden ist nach Kategorien geordnet (Architektur,
Proportionen, Figuren etc.) aufgeführt.
„Der grosse Leonardo
blieb überhaupt sein ganzes Leben über in manchen Stücken
kindlich; man sagt, dass alle grossen Männer etwas Infantiles
bewahren müssen. Er spielte auch als Erwachsener weiter und wurde
auch dadurch manchmal seinen Zeitgenossen unheimlich und
unbegreiflich“, wird Freud in Band eins zitiert. Beispiele dafür
liefern diese beiden schön gestalteten Bände zuhauf.
Frank Zöllner/Johannes Nathan:
Leonardo da Vinci:
Band 1: Sämtliche Gemälde
Band 2:
Das zeichnerische Werk
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