Es sei gleich gesagt: Ich kann beim besten Willen nicht verstehen, weshalb jemand freiwillig in den Krieg zieht. Für mich sind Kriegsfotografen Adrenalin-Junkies. Der Fotograf Michael Kamber sieht das nicht so. Warum also ging er in den Krieg? "Bei mir war immer Gewalt zu Hause", sagt er, "vielleicht mag ich sie deshalb." Eine ziemlich eigenartige Erklärung. Im Vorwort lese ich: "Für ihn ist es kein Foto, wenn in einem Krieg ein Soldat mit einem Sturmgewehr durch die Gegend läuft. Es ist erst dann ein Foto, wenn ein Mensch schiesst, explodiert oder blutet. Deshalb gehen Kriegsfotografen an die Front, sie warten auf Sprengfallen, sie hoffen auf Hinterhalte."
Man müsse wissen, schreibt Takis Würger, Reporter beim Spiegel, der das Vorwort beigesteuert hat, dass Fotografen für gewöhnlich keine grossen Redner seien, "besonders dann nicht, wenn es um ihre Ängste, Wünsche und Hoffnungen geht." Ein paar Seiten weiter wird dann Michael Kamber mit dem Satz zitiert: "Viele Fotografen sind grosse Geschichtenerzähler." Ja, was denn nun? Beides natürlich, doch glücklicherweise hat Kamber etwas mehr recht, jedenfalls machen einen die 18 Interviews in diesem Buch die Ängste, Wünsche und Hoffnungen der Fotografen gut nachvollziehbar.
Das erste Gespräch mit dem 1978 geborenen Deutschen Christoph Bangert, der im Irak fotografierte, als die berühmten Namen wieder abgereist waren, ist auf vielfältige Art erhellend: "Es gab im Irak damals keine permanenten Gefechte, Schiessereien oder ständige Explosionen - boom! boom! Nein, oft war es sehr, sehr ruhig., sehr viel komplizierter als in so einem Film." Etwas vom Schlimmsten sei die gewaltige Kluft zwischen den Amerikanern und den Irakern gewesen. Zudem habe die Kommunikation auch unter unfähigen Dolmetschern gelitten. Er mache seine Bilder, weil er sie für wichtig halte: "Du musst selbst entscheiden, was wichtig genug ist, um darüber zu berichten, nicht das, wovon du denkst, dass es dein Leser will. Das ist keine Anzeigenkampagne. Das ist Journalismus:" Eines von Bangerts eindrücklichsten Bildern vom Irakkrieg, so erfährt man, zeige einen Mann auf einem Müllhaufen, dessen Hals beinahe vollständig abgeschnitten ist. Das Foto wurde nie veröffentlicht, umso unverständlicher, dass es auch in diesem Band nicht gezeigt wird.
Die Einleitung zum Gespräch mit dem 1970 geborenen Marco di Lauro fand ich wunderbar eindringlich geschildert, doch die der Einleitung und dem Gespräch vorangestellten Sätze erweckten meinen Widerwillen: "Für mich ist ein getöteter Zivilist ein getöteter Zivilist zu viel, egal aus welchem Grund und von wem er getötet wurde. Ich bin gegen niemanden. Ich bin nur gegen die Verletzung der Menschenrechte." Ich halte diese Kombination von Sätzen für unreflektiert, ja für dumm. Wer solches äussert, fällt auf die Propaganda rein, die zwischen toten Zivilisten und toten Soldaten einen Unterschied macht. In der letzten Konsequenz bedeutet das, dass wer eine Uniform trägt, getötet werden darf. Das ist hirnrissig.
Das Bild von di Lauro, das einen Jungen zeigt, der über in einer Schule aufgereihte Tote springt, ist aussergewöhnlich und eindrücklich. Überhaupt ist die Bildauswahl dieses Bandes superb. Und illustriert damit, dass Kriegsbilder, von denen es doch angeblich zu viele gibt, als dass wir noch von ihnen berührt sein könnten, uns nach wie vor erreichen und bewegen können. Treffend sagt es auch der 1957 geborene Ed Kashi, Mitglied der Agentur VII: "Interessant, wie uns die Fotografie durchs Leben begleitet und uns Dinge zeigt, die wir ansonsten womöglich nicht erkennen würden."
Fotografen sind Augenzeugen: sie sind vor Ort und häufig nah am Geschehen. Selten erfährt man, was sie sich so für Gedanken machen. Und genau deshalb ist dieser Band zu empfehlen: weil man hier erfährt, wie Fotografen Konflikte, zu denen sie die Bilder beisteuern, erlebt haben. Was zum Beispiel der gerade erwähnte Ed Kashi zum Stammesdenken im Irak zu sagen hat, ist unbedingt lesenswert.
Bilderkrieger ist ein aufklärendes und aufklärerisches Buch: so wie hier habe ich zum Beispiel noch nie über den Irak gelesen. Zudem hat mein Bild vom Kriegsfotografen als Adrenalin-Junkie einen kleinen Riss bekommen. Und das meint. Kriegsfotografen auf Adrenalin-Junkies zu reduzieren ist zu kurz gegriffen, das Leben ist dann doch etwas komplexer. Konkret: "Man muss die Momente der Menschlichkeit zeigen, sei es einen Arzt, der seine Patientin in diesem Chaos weiterbehandelt oder eine Gemeinde, die sich gegen die Schrecken wehrt. Irgendetwas, das einem ein Gefühl der Hoffnung vermittelt, sonst ist es die totale Verzweiflung" (Ed Kashi). "Ich habe mich stets mehr dafür interessiert, was am Rande passiert, wie das Leben der Menschen berührt wird. Die Männer interessieren sich mehr für die Kämpfe. Mitch, mein langjähriger Freund, ist definitiv eher der Actionjunkie ..." (Stephanie Sinclair).
Bilderkrieger ist ein notwendiges Buch: aufrüttelnd und nachdenklich machend. "Manchmal denke ich, ich habe komplett versagt. Nicht eines meiner Fotos hat gezeigt, was im Irak wirklich geschehen ist" (Andrea Bruce). "Für mich waren die definitiven Fotos bislang die Bilder, die Soldaten in Abu Ghraib aufgenommen haben" (Andrea Bruce). Das Foto, das mich am nachhaltigsten beeindruckt hat (zusammen mit der Bildlegende), ist das Hochzeitsfoto von Renee und Tyler Ziegel, der bei einem Selbstmordanschlag im Irak schwer verletzt worden war, es stammt von Nina Berman.
Michael Kamber
Bilderkrieger
Ankerherz Verlag, Hollenstedt 2013
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