Der chinesische Unternehmer, Bergsteiger und Dichter Huang Nubo möchte so viel wie möglich von der Welt sehen und nimmt sich vor, innerhalb von zehn Jahren alle 759 UNESCO-Weltkulturerbestätten zu besuchen. Ausgestattet mit Kamera und Diktiergerät beginnt er mit Deutschland, für das er grosse Bewunderung hegt, der effizienten Arbeitsweise und Höflichkeit der Deutschen wegen. Herr Huang in Deutschland berichtet von seiner Begegnung mit der Realität.
Herr Huang reist mit einem Punktesystem. Das Gepäcksystem der Lufthansa erhält auf einer Skala von eins bis zehn gerade mal einen Punkt, der Service am Schalter hingegen neun. "Die junge Chinesin kommunizierte kompetent, war sehr freundlich, zwischenmenschlich absolut fit und gab uns geduldig Anweisungen zur Gepäckabgabe." Von der ersten Klasse zeigt er sich dann regelrecht begeistert. "Es gab alles, was das Herz begehrte."
Herr Huang in Deutschland ist höchst vergnüglich zu lesen. Und das hat viel mit Huang Nubo zu tun, der weniger durch seine Schreibkunst überzeugt, als dadurch, dass er über so ziemlich alles und jedes eine Meinung hat und diese auch ungeniert zum besten gibt. Was mich für ihn einnimmt, ist seine Neugier und sein breiter Horizont.
In Wismar macht er sich Gedanken über den Tod, die fehlende Achtung der Menschen voreinander ("Ein Leben wird nicht mehr als wertvoll erachtet, eine andere Person wird nicht mehr als Mensch wahrgenommen, man sieht in jedem nur noch den Feind.") und darüber, dass in China die Städte keine eigenen Merkmale mehr haben und alle gleich aussehen: "Ein Phänomen wie in Korea, wo sich die Mädchen alle künstlich verschönern lassen und am Ende nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind, weil sie alle gleich aussehen. Wenn aber alles gleich schön aussieht, was bedeutet diese Schönheit dann überhaupt noch'."
Er sieht hin, stellt Fragen und vergleicht was er sieht und hört mit dem heimatlichen China. Er setzt sich zu ein paar Punks auf die Strasse, trinkt mit ihnen ein Bier und denkt über Foucault nach, der gemeint hat, jeder moderne Mensch sei geformt und diszipliniert und in seiner ursprünglichen Form im Grunde genommen ausgelöscht worden.
In Lübeck besucht er das Buddenbrookhaus und ist enttäuscht, auch darüber, dass alle Hinweisschilder auf Deutsch waren. "Hinterher habe ich mir gedacht: Es wäre doch toll, wenn man sich gleich beim Eingang eine chinesische Broschüre mitnehmen könnte. Dann würden die Touristen mehr erfahren, anstatt genau wie ich nur verwirrt auf Bilder zustarren, nicht zu wissen, wer da eigentlich wer auf dem Foto ist, danach eine kleine Runde umherzuirren, nur um dann genauso klug wie zuvor das Museum wieder zu verlassen."
Meine Erfahrung mit offiziellen chinesischen Essen ist, dass ein solches genau eine Stunde dauert. Kein Wunder also, dass es Herr Huang fast nicht fassen kann, dass ein viergängiges Menu in Deutschland geschlagene vier Stunden dauert. "Ein ganz ermattender Prozess - man isst sich müde ..."
Was ich hier gerade auszugsweise wiedergegeben habe, sind einige der Ereignisse der ersten beiden Tage von Huangs insgesamt 26 Tage dauernden Reise. Mögen sie zur Lektüre dieses wunderbar informativen und unterhaltenden Buches anregen!
Doch beifügen will ich noch dies: so unterhaltsam und zum Schmunzeln verführend dieses Buch auch ist, es ist viel mehr als das. Nämlich eine höchst instruktive Anregung, einmal einen kritischen Blick auf das eurozentrische Denken zu werfen. Ich jedenfalls fand in Huangs Ausführungen ganz vieles, das mich auf noch nie bedachte Selbstverständlichkeiten aufmerksam machte. Ein Beispiel: "Im Westen gibt man sich zur Begrüssung die Hand wie früher verfeindete Parteien, weil man dadurch signalisiert, keine Waffe zu tragen. Es ist eine Methode, um Hass zu vermeiden. Im Osten, zum Beispiel in China, faltet man die Hände und verbeugt sich leicht. Damit drückt man aus: 'Ich bin höflich zu dir, sei auch du nett zu mir'."
Huang Nubo
Herr Huang in Deutschland
Ein Chinese auf Weltreise zum Kulturerbe
Georg Olms Verlag, Hildesheim-Zürich-New York 2015
Herr Huang reist mit einem Punktesystem. Das Gepäcksystem der Lufthansa erhält auf einer Skala von eins bis zehn gerade mal einen Punkt, der Service am Schalter hingegen neun. "Die junge Chinesin kommunizierte kompetent, war sehr freundlich, zwischenmenschlich absolut fit und gab uns geduldig Anweisungen zur Gepäckabgabe." Von der ersten Klasse zeigt er sich dann regelrecht begeistert. "Es gab alles, was das Herz begehrte."
Herr Huang in Deutschland ist höchst vergnüglich zu lesen. Und das hat viel mit Huang Nubo zu tun, der weniger durch seine Schreibkunst überzeugt, als dadurch, dass er über so ziemlich alles und jedes eine Meinung hat und diese auch ungeniert zum besten gibt. Was mich für ihn einnimmt, ist seine Neugier und sein breiter Horizont.
In Wismar macht er sich Gedanken über den Tod, die fehlende Achtung der Menschen voreinander ("Ein Leben wird nicht mehr als wertvoll erachtet, eine andere Person wird nicht mehr als Mensch wahrgenommen, man sieht in jedem nur noch den Feind.") und darüber, dass in China die Städte keine eigenen Merkmale mehr haben und alle gleich aussehen: "Ein Phänomen wie in Korea, wo sich die Mädchen alle künstlich verschönern lassen und am Ende nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind, weil sie alle gleich aussehen. Wenn aber alles gleich schön aussieht, was bedeutet diese Schönheit dann überhaupt noch'."
Er sieht hin, stellt Fragen und vergleicht was er sieht und hört mit dem heimatlichen China. Er setzt sich zu ein paar Punks auf die Strasse, trinkt mit ihnen ein Bier und denkt über Foucault nach, der gemeint hat, jeder moderne Mensch sei geformt und diszipliniert und in seiner ursprünglichen Form im Grunde genommen ausgelöscht worden.
In Lübeck besucht er das Buddenbrookhaus und ist enttäuscht, auch darüber, dass alle Hinweisschilder auf Deutsch waren. "Hinterher habe ich mir gedacht: Es wäre doch toll, wenn man sich gleich beim Eingang eine chinesische Broschüre mitnehmen könnte. Dann würden die Touristen mehr erfahren, anstatt genau wie ich nur verwirrt auf Bilder zustarren, nicht zu wissen, wer da eigentlich wer auf dem Foto ist, danach eine kleine Runde umherzuirren, nur um dann genauso klug wie zuvor das Museum wieder zu verlassen."
Meine Erfahrung mit offiziellen chinesischen Essen ist, dass ein solches genau eine Stunde dauert. Kein Wunder also, dass es Herr Huang fast nicht fassen kann, dass ein viergängiges Menu in Deutschland geschlagene vier Stunden dauert. "Ein ganz ermattender Prozess - man isst sich müde ..."
Was ich hier gerade auszugsweise wiedergegeben habe, sind einige der Ereignisse der ersten beiden Tage von Huangs insgesamt 26 Tage dauernden Reise. Mögen sie zur Lektüre dieses wunderbar informativen und unterhaltenden Buches anregen!
Doch beifügen will ich noch dies: so unterhaltsam und zum Schmunzeln verführend dieses Buch auch ist, es ist viel mehr als das. Nämlich eine höchst instruktive Anregung, einmal einen kritischen Blick auf das eurozentrische Denken zu werfen. Ich jedenfalls fand in Huangs Ausführungen ganz vieles, das mich auf noch nie bedachte Selbstverständlichkeiten aufmerksam machte. Ein Beispiel: "Im Westen gibt man sich zur Begrüssung die Hand wie früher verfeindete Parteien, weil man dadurch signalisiert, keine Waffe zu tragen. Es ist eine Methode, um Hass zu vermeiden. Im Osten, zum Beispiel in China, faltet man die Hände und verbeugt sich leicht. Damit drückt man aus: 'Ich bin höflich zu dir, sei auch du nett zu mir'."
Huang Nubo
Herr Huang in Deutschland
Ein Chinese auf Weltreise zum Kulturerbe
Georg Olms Verlag, Hildesheim-Zürich-New York 2015
No comments:
Post a Comment