Wednesday, 22 April 2015

Vom Ende der Ewigkeit

Meine Faszination für die Fotografie hat sich im Laufe der Zeit gewandelt: waren es vor 15 Jahren vor allem Aufnahmen von Menschen (und speziell Porträts), die mich anzogen, so sind es heutzutage vermehrt Naturfotos, die mich in ihren Bann ziehen. Die Konstante dabei ist mein Interesse für den Entstehungsprozess der Bilder. Es ist selten, dass mir ein Bildband Informationen über die Empfindungen der Fotografierenden liefert. Zu diesen Ausnahmen gehört Camille Seamans Vom Ende der Ewigkeit. Die Texte zu den untenstehenden Bildern stammen von der Fotografin, die, obwohl sie während ihrer Teenagerjahre viel fotografiert hat, nie in Betracht gezogen hatte, als Fotografin Karriere zu machen. Damals war noch nicht offensichtlich, dass sie damals "ein Samenkorn gesät hatte, das nach und nach Wurzeln bekam und eines Tages blühen wurde."
Grosser Pyramideneisberg, Detail
Ostgrönland, August 2006
Eisberge werden je nach Form und Grösse in unterschiedliche Gruppen eingeteilt. Dieser Pyramideneisberg war ziemlich spektakulär.

1999 ist Camille Seaman zum ersten Mal in die Arktis gereist. Zwischen 2003 und 2011 dann jedes Jahr, an Bord von Forschungs- und Handelsschiffen, als Expeditionsfotografin. Die Bilder und Texte in diesem Band legen davon Zeugnis ab.

Die Bilder: wunderbar, eindrücklich, schön und unwirklich. Die Farben von Türkis bis Rauchschwarz! Das Bewusstsein für die Qualität des Lichts hatte ihr Steve McCurry beigebracht. 

Dass es solche Eislandschaften überhaupt gibt! Beim Lesen der Texte erfährt man dann, dass sie am Schmelzen und damit am Verschwinden sind.

Über den Klimawandel hat sie lange Zeit nicht wirklich nachgedacht. "All die Jahre dachte ich, ich fotografiere einfach nur einen unfassbar schönen Teil unseres Planeten - bis mir klar wurde, dass ich nicht festhielt, was wir haben, sondern was wir gerade verlieren."
Eselspinguine in Balzpose
Cuverville Island, Antarktische Halbinsel, Dezember 2007
Diese beiden Eselspinguine vollführen einen Balztanz, bei dem sie sich perfekt synchron bewegen müssen, wenn sie ein Paar werden wollen. Pinguinpaare bleiben manchmal über viele Jahre zusammen und stärken ihre Bindung, indem sie diesen Tanz wiederholen.

Camille Seaman kam als ältestes Kind einer afroamerikanisch-italienischen Mutter und eines Shinnecock-Vaters zur Welt. "Ich war nicht schwarz genug, um Schwarze zu sein, nicht indianisch genug, um Indianerin zu sein, und nicht italienisch genug, um Italienerin zu sein. Ich war etwas anderes. Ich stand ausserhalb als Beobachterin und bemerkte, dass das unglaubliche Vorteile hat." Unter anderem der, dass sie nicht ausgeschlossen werden und deshalb Brücken zwischen unterschiedlichen ethnischen Gruppen bauen konnte.

Nicht dazugehören zu müssen, erlaubt sich auf eine Wirklichkeit einzulassen, in der es keine Grenzen der Sprache, der Ideologie und der Kultur gibt. Und dabei zu erfahren, dass alles mit allem verbunden ist. "Wir sind wahrhaftig ein lebendes Netz, jeder Einzelne ist mit den anderen verbunden. Mir wurde klar, wie absurd wir Menschen gegenwärtig handeln und denken. Wir verhalten uns, als wären wir irgendwie losgelöst von allen anderen Lebensformen oder würden über diesen stehen."
Eisberg, Detail mit Dreizehenmöwen
Ostgrönland, August 2006
Allein die Tatsache, dass unser Schiff an diesem ungefähr hundert Meter aus dem Wasser ragenden Eisberg vorbeifuhr, reichte aus, um die Vögel von ihren Ruheplätzen aufzuscheuchen. Ich mag die Oberfläche dieses Eisbergs, die an die Haut eines Elefanten erinnert.

Camille Seaman sei ein Impulsgeber, schreibt Elizabeth Sawin im Vorwort. 
"Diese für uns als Impulsgeber wirkenden Menschen gehen an Orte, an die die meisten von uns nicht gehen können, nie gehen werden, und von dort bringen sie uns dann etwas mit, das uns – wenn wir es zulassen – verändern wird. Und plötzlich wird uns etwas bewusst, das wir vorher nicht einmal wahrgenommen haben. Unsere Erde, unser Zuhause ist schön. Und klein. Und ein Ganzes.
Es ist kostbar.
Und es verändert sich.
Wir verändern es."

Camille Seaman
Vom Ende der Ewigkeit
Eine Reise durch bedrohte Polarwelten
Prestel, München-London-New York 2015

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