Wednesday 22 June 2016

Burt Glinn: Kuba 1959

Am Silvesterabend 1958 befand sich der Magnum-Fotograf Burt Glinn auf einer Party in New York, wo sich die Gespräche um Fulgencio Batista, den kubanischen Diktator, drehten, der angeblich gerade dabei war, in Havanna Lastwagen mit Kubas Schätzen beladen zu lassen und das Land verlassen zu wollen. Obwohl er sich weder für besonders mutig noch für besonders impulsiv hält, zieht es Glinn unwiderstehlich nach Havanna. Cornell Capa, der damalige Präsident von Magnum, hilft ihm das dafür nötige Geld zu beschaffen und um 3 Uhr am Neujahrsmorgen trifft Glinn am völlig verlassenen Flughafen von Miami ein, von wo es einen Charter-Shuttle nach Havanna gab, bei dem die Regel galt, dass wer zuerst da war, die Plätze bekam.

"Der Charter-Shuttle war nicht besetzt, aber es gab ein Telefon direkt zum Piloten. Nachdem er sich ausführlich über die unmögliche Uhrzeit beschwert hatte, erklärte ich ihm, es gäbe auf Kuba gerade eine Revolution und ich müsste so schnell wie möglich dort hin. Er versicherte mir, ich bekäme den ersten Platz nach Havanna bei Tagesanbruch ...".

Als er in Havanna eintrifft, ist Batista bereits geflohen, Castro und Guevara sind noch Hunderte von Meilen weit weg, niemand scheint an der Macht zu sein. Das alles schildert Glinn erfreulich unaufgeregt und unprätentiös, so erfährt man für einmal, was man so recht eigentlich öfters wissen möchte: Wie sich der Fotograf gefühlt hat, was er getan und wie er die Situation vor Ort erlebt hat.
Die Fotos sind ganz unterschiedlich, ob sie als Bilder gelungen sind, ist manchmal fraglich, doch als Zeitdokumente sind sie sehr aussagekräftig, auch wenn man nicht immer weiss, wen oder was sie zeigen. Der Begleittext zu obiger Aufnahme (und anderen Aufnahmen)  sagt: "Castro-Sympathisanten patrouillieren durch die Strassen mit Handfeuerwaffen. Es kommt zu Schusswechseln zwischen Rebellen und Anhängern Batistas. In ersten Berichten ist von 50 Opfern der Schiessereien die Rede. Die Stimmung ist aufgeheizt."

Neun Tage war Burt Glinn im Land, hautnah hat er die Euphorie erlebt. "Keiner, der seine Reise nach Havanna erlebt hatte, konnte den Theorien der Exilkubaner über Castros Unbeliebtheit Glauben schenken, die schliesslich als Grund für die US-finanzierte Invasion herhalten musste die Landung in der Schweinebucht." Wie immer also: die offiziell vorgeschobenen Gründe sind selten etwas anderes als Lügen, heutzutage läuft das unter PR.
Zu meinen liebsten Aufnahmen gehört diese hier. Im Buch steht sie neben einem Bild, das die gleichen Menschen kurz zuvor zeigt. In der vorherigen Szene wirken sie angespannt, auf dem obigen Bild freudig und erlöst. Aus dem Kontext geht hervor, dass sie Castro und Urrutia zuhören, die vom Balkon des Präsidentenpalasts zu ihnen sprechen. 

Neben dem Text von Glinn findet sich ein weiterer von Barbara Miller, die für Magnum in New York und später in Paris arbeitete und auf gerade einmal eineinhalb Seiten den "Rebellensieg auf Kuba" nachzeichnet. Es ist ein Text, geschrieben 1960, der einem die damalige Stimmung vor Ort gut zu vermitteln weiss und einen staunen macht: Dass 8'500 Partisanen, bewaffnet alleine mit Pistolen und selbstgebauten Granaten, es schafften, Batistas bestens ausgerüstete und loyale 46'000-Mann-Armee zu besiegen, grenzt an ein Wunder.
Kuba 1959 ist höchst beeindruckender Fotojournalismus!

Burt Glinn
Kuba 1959
Midas Collection, Zürich 2016

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