Der 1955 in Basel geborene Fotograf und Kunstmaler Daniel Rohner, lese ich in der Presseinformation, sei in die Rheinschlucht zwischen Reichenau und Ilanz hinabgestiegen und habe am Churer Hausberg, dem Calanda, und im Laufental fotografiert. Ich war gespannt, sehr sogar, denn diese Gegenden sind mir bekannt, ganz besonders die Rheinschlucht zwischen Reichenburg und Ilanz, wo ich oft zu Fuss unterwegs bin. Beim ersten Durchblättern von Dialog mit Mi Fu war meine Überraschung gross: Was ich sah, hatte ich so noch nie gesehen, jedenfalls nicht bewusst. Beim zweiten und dritten Hinschauen entdeckte ich dann einige wenige mir nicht ganz unvertraute Ansichten. Mit anderen Worten: Die Beschäftigung mit Daniel Rohners Aufnahmen zeigten mir wiedereinmal, weshalb Fotografien zu betrachten horizonterweiternd sein kann: Diese Bilder zeigten mir Ansichten und Sichtweisen, die mir gefielen und die mir sonst wohl entgangen wären.
Aus dem Begleittext von Andres Pardey erfahre ich unter anderem, dass Mi Fu, der von 1051 und 1107 gelebt hat und als einer der Väter der chinesischen Tusche- und Aquarellmalerei gilt, "als derjenige, der die Landschaften mit ihren vernebelten Tälern und den spitzen, hintereinander geschichteten Hügelzügen als einer der Ersten so dargestellt hat, wie wir sie gemeinhin von Bildern kennen."
Da macht also einer in der Schweiz Fotos im Stile eines chinesischen Malers (oder zumindest von diesem inspiriert), denkt es so in mir. Ein interessanter Ansatz, nicht zuletzt, weil es in China Landschaften gibt, die einen an die Schweiz erinnern. Jedenfalls ist es mir während eines mehrmonatigen Aufenthalts in der Provinz Fukkien so ergangen. Doch wie muss ich mir das Vorgehen des Fotografen vorstellen? Ist er mit einem Bild im Kopf hingegangen und hat dann versucht, dieses in der Schweizer Realität zu finden? Oder hat er ganz einfach genau hingeschaut und (vielleicht beeinflusst von an Mi Fu geschulten Sehgewohnheiten) gesehen, was vor langer Zeit auch Mi Fu so ähnlich gesehen haben mag?
Lothar Ledderose macht in seinem Beitrag "Reisende zwischen Giessbächen und Bergen" auf zwei Landschaftsbilder (das eine entstand um das Jahr 1000 und stammt von Fan Kuan, das andere, datiert 1072, von Guo Xi) aufmerksam, die an Daniel Rohners Fotos gemahnen und hält fest: "Über die Jahrhunderte hinweg besteht eine eigentümliche Affinität zwischen den Werken der song-zeitlichen Maler Chinas und den suggestiven, enigmatischen, mit bewundernswerter fotografischer Technik gestalteten Bildern von Daniel Rohner. Auch er zeigt eine unberührte Bergwelt: schroffe Felsen, komplexe Oberflächen in unendlich vielfältigen Abstufungen von Grau, wabernde Nebel, winzige Behausungen; auch seine Fotografien führen uns die schöpferischen, kosmischen Kräfte der Natur vor Augen."
Mich erstaunen die Gemeinsamkeiten von Malern, die vor gut 1000 Jahren in China lebten, und dem Schweizer Fotografen Daniel Rohner nicht, denn wir Menschen haben mehr miteinander gemein, als uns bewusst (und möglicherweise lieb) ist. Üblicherweise betonen wir die Unterschiede. die geografischen, die kulturellen und die zeitlichen. Für mich hat Daniel Rohner mit diesen Fotos sein Augenmerk auf das Verbindende gelegt.
Der dritte Textbeitrag stammt von Andrin Schütz. Er ist mit "Transformationen des Augenblicks" überschrieben und führt unter anderem aus: "Bleibt der Bildraum – trotz zuweilen nahezu naturalistischer Fasssung – dem historischen Asiaten stets Idealraum und diesseitige Metapher des jenseitig Metaphysischen und Philosophischen, scheint sich Rohner vorerst ganz auf die diesseitige Realität zu konzentrieren." Nun ja, das ist bei Fotografen so recht eigentlich zwangsläufig der Fall. Schliesslich können Fotografien nur abbilden, was zu sehen ist.
Daniel Rohner
Dialog mit Mi Fu
Kehrer Verlag, Heidelberg Berlin 2017
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