Philomen Schönhagen ist Professorin für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der Uni Fribourg und das vorliegende, zusammen mit Mike Messner verfasste, Werk "ein Begleitbuch" zur ihrer Vorlesung. Mit anderen Worten: es ist ein akademisches Buch und das meint, dass noch die banalsten Aussagen referenziert werden. Das ist usus, ich weiss; Eitelkeit hat eben viele Formen.
Ich bin zwar akademisch ausgebildet, verstehe mich jedoch nicht als Akademiker (die arbeiten an der Uni): mich interessiert allein, ob dieses Buch (für mich) zu einer hilfreichen Horizonterweiterung beiträgt. Und es sei gleich vorweggenommen: Das tut es. Im Nachfolgenden greife ich einige Aspekte heraus, die mich besonders spannend dünkten; für eine fachliche Einschätzung fehlen mir die einschlägigen, und besonders die historischen, Kenntnisse.
Mediengeschichte beginnt mit der Schrift, ihre erste Revolution wird gemeinhin der Typografie von Gutenberg zugeschrieben. Nur eben: der Buchdruck für sich alleine wäre noch kein revolutionärer Umbruch gewesen, es brauchte dazu auch ein funktionierendes Postwesen. Es sind nicht zuletzt die vielfältigen Wechselwirkungen (wie die gesellschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Verhältnisse aufeinander einwirken), die dieses Buch verdienstvollerweise herausstreicht.
Versammlungskommunikation hat es so recht eigentlich immer schon gegeben, lerne ich. Und sie gibt es auch heute noch, etwa bei den Dowayo in Kamerun (der Bezug auf Nigel Barley bringt automatisch dies
hier zu Bewusstsein), den schriftlosen Kulturen Nordost-Neuguineas und in einigen Schweizer Kantonen. Womit sich wieder einmal bestätigt findet, dass die Schweiz ein ausgesprochen exotisches Land ist.
Wie kommt es eigentlich, dass "die Entwicklung zur journalistisch vermittelten Kommunikation nachhaltig nur im Europa der Frühen Neuzeit zustande gekommen ist", da China zwar über kein Postsystem, doch über Papier und Typografie verfügte? Weil es "in Europa eine Tradition des umfassenden Austauschs (im Modus der Versammlungskommunikation)" gab, meinen die Autoren. Dazu kommt, dass die Renaissance aufs Diesseits und nicht mehr aufs Jenseits ausgerichtet war, was auch zu einer Nachfrage nach weltlichen Nachrichten führte.
Einiges in diesem Buch machte mich sehr schmunzeln. Etwa, dass es ab 1705 in der Schweiz eine "natur- und länderkundliche Zeitschrift" mit dem Titel "Seltsamer Naturgeschichten des Schweizerlandes wochentliche Erzehlung", oder dass es ab 1730 in Schaffhausen das "Hoch Oberkeitlich begünstigtes Kundschafts-Blättlein", oder dass es im 19. Jahrhundert Damenlesehallen gab. Letzteres erinnerte mich auch daran, wie Souad Mekhennet in "Nur wenn du allein kommst" eine Buchhandlung nahe einer Hamburger Moschee beschrieb: "Der kleine Bereich mit den Büchern für Frauen und Kinder war mit einem Vorhang vom Rest des Raums abgetrennt."
Kommunikations- und Mediengeschichte ist reich an mich faszinierenden Details. So wurde etwa der seit 1959 von Ringier herausgegebene "Blick" zu Beginn abgelehnt, nicht nur von der Konkurrenz, sondern auch von der Bevölkerung – "die 'reisserische' Art (die Schlagzeilen) galt als 'geschmacklos' und 'unschweizerisch'" (und wurde trotzdem zu einem Erfolg).
Jedes menschliche Zusammenleben erfordert den kommunikativen Austausch über "das, was alle angeht", zitieren die Autoren ein Rechtsgutachten von Peter Schneider zur Spiegel-Affäre. Von der Antike bis ins Mittelalter geschah dies vorwiegend auf Versammlungen, also da, wo der Mensch physisch präsent war. Im 16. Jahrhundert nahm dann die Kommunikation auf Distanz, die heute dominierende mediale Form, ihren Anfang. Dieser gesamtgesellschaftliche Austausch scheint zur Zeit gefährdet, da sich Social Media und Digitalplattformen nicht mehr an einem imaginierten öffentlichen Interesse, sondern an den situativen Bedürfnissen einzelner Nutzer orientieren.
Wie eingangs erwähnt: Dies ist ein akademisches Buch, definitive Aussagen sucht man also vergebens, mehr als ein differenziertes Sowohl als Auch ist da nicht zu haben. "Es bleibt also offen, ob die journalistische Vermittlung grundlegend für die gesellschaftliche Kommunikation bleiben wird und wie der umfassende gesellschaftliche Austausch ansonsten realisiert werden könnte, der für den gesellschaftlichen Zusammenhalt wesentlich ist." Manchmal sind Akademiker eben auch ganz schön realistisch.
Philomen Schönhagen / Mike Meissner
Kommunikations- und Mediengeschichte
Von den Versammlungen bis zu den digitalen Medien
Herbert von Halem Verlag, Köln 2021
No comments:
Post a Comment