Ich war kurz vor Mitternacht zu Bett gegangen, wachte dreimal in der Nacht durstig auf, wälzte mich ständig unruhig hin und her und als ich morgens um sieben aufstand, war mir unwohl, nahm ich eine diffuse Angst und Beklemmung wahr.
Tags zuvor hatte ich eine gelernte Psychologin gecoacht, der es schwer fiel, sich verbindlich zu entscheiden; hatte dreieinhalb Stunden Englisch unterrichtet, eine Einzelstunde mit einem Uni-Dozenten, dann eine mit einem Arzt und zuletzt eine Gruppe von Managern, die mich anschliessend, da es die letzte Unterrichtsstunde war, zum Essen einluden. Es war ein intensiver Austausch gewesen, doch war nichts dabei, das mir einen auch nur vagen Hinweis darauf hätte geben können, dass ich eine unruhige Nacht vor mir haben und in der Früh unter Übelkeit und Beklemmungsgefühlen leiden würde.
Automatisch suchte ich nach Erklärungen, betrieb die mir zur Gewohnheit gewordene Ursachenforschung und misstraute gleichzeitig meinen Einsichten – zu beliebig, zu sehr vom Bedürfnis nach Sinn und Zweck schienen sie mir diktiert. „Aber es wäre wahrlich ein Narr, wer annähme, dass irgendein Leben einer schlichten Folgerichtigkeit gehorcht, oder verdient wäre, oder selbstverständlich“, meint Robert Creeley in seiner Autobiographie.
Für meine Gefühle bin ich nicht verantwortlich, wohl aber dafür, wie ich mit ihnen umgehe. So sehr ich mich die meiste Zeit meines Lebens danach gesehnt habe, die unangenehmen, bedrückenden, verstörenden, mich oft lähmenden Gefühle endlich einmal hinter mir zu haben – sie tauchen immer wieder auf.
Sie nicht wahrhaben zu wollen, hat für mich nie funktioniert; immer wieder haben sie mich eingeholt. Ich musste und muss nach wie vor lernen, sie zu akzeptieren, sie als zum Leben gehörig zu begreifen. Denn erst, wenn ich das tue, habe ich eine Chance, nicht zum Sklaven meiner Stimmungen zu werden.
Hans Durrer: Wie geht das eigentlich, das Leben? neobooks 2017
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