Das Wesentliche bezüglich des Jetzt ist ein verführerischer Titel. Und irgendwie angeberisch, denn er impliziert, der Autor wisse nicht nur, was das Wesentliche am Jetzt sei, sondern vertraue auch darauf, dass ihm sein Denken eine Antwort liefern könnte.
Jedes Ding und Wesen scheine Zeit zu brauchen, um sein zu können, lese ich. Und so einleuchtend ich das auch finde, es irritiert mich auch, setzt es doch voraus, dass es die Zeit gibt, was nicht alle glauben. So halten die in den Dakotas ansässigen Indianer Zeit für eine Illusion.
Das Wesentliche bezüglich des Jetzt ist vielfältig anregend. So notiert der Autor etwa zum "Zeithaben": "Wie kann man etwas haben, das entweder nicht mehr oder noch nicht ist?" Und er fragt sich, ob Abwesenheit ohne Zeit, was dem praktischen Verstand absurd erscheinen muss, sich vielleicht erfahren lässt.
Man könnte auch umgekehrt fragen: Gibt es eigentlich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft? Erfahren kann ich nämlich nur die Gegenwart. Unserem Bedürfnis nach Verstehen, nach Ordnung und Orientierung steht unsere Erfahrung der Gegenwart bzw. der Ewigkeit im Weg. Doch das wäre eine andere Geschichte ...
Einstein war gemäss Carnap offenbar der Ansicht, "es gebe etwas Wesentliches bezüglich des Jetzt, das schlicht ausserhalb des Bereichs der Wissenschaft liege." Das liegt daran, dass Wissenschaft sich am Messen bzw. am Zählen orientiert, von dem Einstein einmal gesagt hat: Nicht alles, was zähle, könne auch gezählt werden, und nicht alles, was gezählt werden könne, zähle auch etwas.
Die Zeit ist verbunden mit dem Zählen und der Dauer. Die Intuition sagt uns, dass sich die Gegenwart zeitlicher Bestimmung entzieht; sie kann nicht vergehen, sie kann nur sein.
Nur eben: Ohne Zeit kann der Mensch nicht sein. "Das Leben allein in der Gegenwart, von dem Wittgenstein sagt, es sei ewig, gibt es nur in der Ohnmacht." Vielleicht stösst unser Denken aber eben auch ganz einfach an seine Grenzen, können wir letztlich nicht fassen, was nur ist.
Das Wesentliche bezüglich des Jetzt ist in zwei Teile gegliedert. Teil 1 kommt ohne Gott aus, Teil 2 landet unvermittelt bei der Schöpfung. "Die kontinuierliche Schöpfung ist keine Tätigkeit Gottes in der Zeit, sondern überall schon vollendet, wohin sich die Geschöpfe auch wenden, und überall neuer Anfang, was sie auch beginnen." Mich sprechen diese Gedanken sehr an, stehen sie doch im Einklang mit der Vorstellung, dass alles immer schon da war.
Sehr schön zeigt Malte Oppermann auf, dass der Augenblick zeitlos und vollkommen ist. Daraus folgert er aus mir unerfindlichen Gründen, gegen die ich jedoch keine Einwände habe: "In der Zeitlosigkeit und Vollkommenheit des Augenblicks ist das Sein der Geschöpfe dem Sein Gottes analog."
Das Wesentliche bezüglich des Jetzt zeigt einleuchtend und überzeugend auf, dass das Jetzt keine Kategorie der Zeit, sondern perfekt ist. Damit verknüpft ist auch die Freiheit, die darin besteht, sich selbst sein zu dürfen.
Den kurzen Texten sind ausführliche und überaus aufschlussreiche Anmerkungen angefügt, die sowohl erhellen als auch irritieren. "Was Gott tut, ist überall Anfang und überall Vollendung zugleich, in jedem Anfang und in jeder Vollendung unendliche Anfänge und unendliche Vollendungen bergend ...". So inspirierend ich dieses Werk auch finde, solche Sätze sind in erster Linie Rationalisierungen des eigenen Glaubens. Andererseits: Warum auch nicht? Die Auseinandersetzung mit diesem Werk lohnt allemal.
Malte Oppermann
Das Wesentliche bezüglich des Jetzt
Karolinger Verlag, Wien 2024
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