Thursday, 21 May 2009

Armando

Es liegt gut zehn Jahre zurück, dass ich meinen ersten längeren journalistischen Text geschrieben habe, der jedoch nie veröffentlicht worden ist. Zu persönlich, zu privat, zu sehr eins zu eins (was auch immer das heissen mag) sei mein Porträt über Armando ausgefallen, wurde mir beschieden.

Als ich diesen Text vor kurzem noch einmal in meinen Laptop getippt habe (ich verfügte nur noch über einer Papierkopie), habe ich, mit Ausnahme geringfügiger Änderungen, alles so stehen gelassen wie ich es damals geschrieben habe. Ich schreibe heute anders und, wie ich mir einbilde, besser, doch ist hier all das bereits angelegt (inklusive der typischen Armando-Ausdrücke wie "sich's Füdli voll lache"), was ich von Journalismus erwarte, nämlich: sich bemühen um Aufrichtigkeit, die gar nicht anders als subjektiv sein kann, was auch erkennbar aus dem Text hervorgehen soll. Und so beginnt mein Porträt Armandos:

Im Januar 1997 rief mich Armando aus der Rehaklinik in Rheinfelden an, seine Bewegungsabläufe seien gestört, er müsse täglich Übungen machen, es sei mühsam, doch er sei zuversichtlich, nicht immer, doch meistens.
Er klang gefasst und darum bemüht, die Dinge positiv zu sehen. Er konzentriere sich jetzt darauf, seine Übungen zu machen, er wolle jetzt, verdammt-noch-mal, gesund werden. Ich glaubte auch Wut und Verzweiflung und Auflehnung heraus zu hören.

Ob der Armando das vor einem Jahr genau so gesagt hat und ob meine Interpretation seiner Gefühlslage richtig war, weiss ich natürlich nicht mehr. Ich habe ihn gefragt, er hält es für möglich. Ich habe es, wenn auch nicht Wort für Wort, doch sinngemäss, so in Erinnerung. Doch mit der Erinnerung ist das so eine Sache. Wie sagt doch das russische Sprichwort so treffend: Er lügt wie ein Augenzeuge.Wir sind eben alle auf eine bestimmte Art konditioniert, sehen, was wir sehen wollen, blenden aus, wo's uns nicht passt. Armando erinnert sich zum Beispiel ganz genau, dass ich mich während der Vorstellungsrunde in Genf mit „Je m'appelle Hans, je suis Suisse-Allemand“ vorgestellt habe. Selbstverständlich halte ich das für gänzlich unwahrscheinlich, da mein federales Französisch einen derartigen Hinweis auf meine Herkunft eigentlich erübrigt hätte. Andrerseits kann ich auch nicht mit Sicherheit behaupten, ich hätte diesen überaus doofen Satz nicht gesagt, denn dass ich mich nicht daran erinnere, besagt ja nur, dass ich mich eben nicht daran erinnere. Gesagt haben kann ich ihn gleichwohl. Sollte dies der Fall gewesen sein, ist nicht weiter verwunderlich, dass ich mich nicht mehr daran erinnern mag. Ich ziehe es nämlich vor, mich doch in einem etwas günstigeren Licht zu sehen.

Dass wir alle dazu neigen, unsere Lebensläufe unserem gegenwärtigen Erkenntnisstand unterzuordnen, geschönt selbstverständlich, versteht sich von selbst. Dies gesagt, werden wir, die an diesem Bericht Beteiligten, im Folgenden um die uns zur Zeit mögliche Aufrichtigkeit bemühen.

Kennen gelernt hatten wir uns im Januar 93 anlässlich des Einführungskurses für angehende Delegierte vom internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) in Genf. Wir gehörten beide zu den Älteren in der Truppe, was denn auch dazu beitrug, dass wir uns reichlich unwohl und angespannt fühlten, einerseits, weil man rund um die Uhr dabei zu sein hatte und sich nie zurückziehen konnte, was ich das letzte Mal vor 25 Jahren im Internat erlebt hatte, und andrerseits, weil man mit den 'humanitären Spielregeln', wie Armando den Umgang professioneller Helfer miteinander nennt, noch gänzlich unvertraut war. Dass sich zudem alles auf Französisch abspielte, bewirkte bei den Deutschschweizern – zugegeben, ich spreche hier fast nur von mir – auch nicht gerade eine Steigerung des Selbstwertgefühls. Ich habe selten so wenig geredet und soviel 'Hä' gesagt.

Der ganze Text findet sich in:
Hans Durrer
Rüegger Verlag, Zürich/Chur 2013

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