Monday 11 May 2009

uferlos

uferlos, mit dem orion von timbuktu nach marrakesch, ist der Titel eines mit Fotos bebilderten Expeditionstagebuchs von Andrea Vogel, gemäss Angaben des Verlages ein "Visionär, Grenzgänger und Fotograf", und seiner Frau Beatrice Keck, einer Rechtsanwältin, Betriebswirtin und Mediatorin, die "alle Projekte beratend, koordinierend, recherchierend und schreibend" begleitet.

Das Buch handelt von der 3000 Kilometer langen Durchquerung (zu Fuss!) der grössten Wüste der Welt, von Timbuktu in Mali nach Marrakesch in Marokko, und zwar mit dem Orion, doch was ist eigentlich dieser Orion genau? Ein Sternbild, liest man da, doch was ist ein Sternbild? Wikipedia gibt Auskunft: "Als Sternbild wird seit der Antike jeweils eine Gruppe von etwa 10-30 Sternen bezeichnet, denen am Himmel eine mythologische Figur zugeordnet wurde. Sternbilder waren in fast allen Kulturen ein Mittel zur Orientierung am Himmel und daher auch für die Seefahrt von Bedeutung." 88 solcher Sternbilder seien heutzutage in Gebrauch, schreibt Vogel, und Orion werde in der Tuareg-Sprache auch 'Amanar', der Karawanenführer, genannt. "Die Karawanen pflegen sich auf ihrem Weg unter anderem auch an diesem wunderschönen Sternbild zu orientieren."

Den ersten Teil der Wüsten-Durchquerung bewältigt Andrea Vogel mit einem Karawanenführer namens Moussa, der jedoch, nach zwanzig Tagen und 850 Kilometern, nicht mehr weiter will. Vogel entscheidet sich, alleine weiter zu gehen. "Ich will kein Fähnchen im Wind sein und umdrehen, wenn es Schwierigkeiten gibt. Zu dieser Sorte möchte ich nicht zählen. Leichtsinnig möchte ich aber auch nicht sein. Aber ich glaube, die Möglichkeiten sind geschaffen, um durchzukommen. Zwei Nahrungsmittel-Depots sind organisiert und eine algerische Karawane, die mir 200 Kilometer südwärts entgegenkommt, ebenfalls."

"Gehen - und wieder gehen und immer gehen. Mein Puls schlägt sich durch die Zeit" notiert Andrea Vogel. Doch da ist nicht nur das Gehen, da ist mehr, denn auch in der Wüste kommt es zu Begegnungen, mit Kobras, zum Beispiel (Vogel ist erstaunt, wie wenig erfahrene Wüstenmänner über das richtige Verhalten bei Schlangenbissen wissen. "Sie betrachten einen Schlangenbiss sowie die eintretenden Folgen als gottgegeben") oder mit Patienten (man lese die Schilderungen auf den Seiten 115/116, schliesslich soll hier nicht alles verraten werden).

Eine Bemerkung zu den Fotos: Diese werden ohne Bildlegenden präsentiert. Das ist weitgehend unproblematisch, denn eine Karawane oder eine Wüstenlandschaft ist auch ohne Begleittext als solche zu erkennen, doch weshalb einem gewisse Aufnahmen (Porträtansichten von Menschen, die nichts mit dem daneben stehenden Text zu tun haben) gezeigt werden, ist ziemlich unerfindlich - hier wäre ein erklärender Text hilfreich gewesen.

uferlos erzählt von körperlichen Strapazen ("zu müde zum sterben" heisst ein Kapitel), von Sternenmeeren und von Sandstürmen ("Aus dem Nichts kommend ist er hier, ohne anzuklopfen, ohne Pardon. Für Angst fehlt die Zeit."), letztere begleitet von, auf den Seiten 136/137, einer auch farblich sehr schönen fotografischen Komposition, die einen vom Wind gebeutelten Andrea Vogel zeigt.

uferlos ist aber auch ein Buch voller Einsichten, ja ein philosophisches Buch, in dem man Beobachtungen findet wie "Ich denke nicht, es denkt mit mir" und "Die Sahara ist eine andere Welt, von einer Farbgebung wie ich sie liebe. Monochrom, keine Farbe zuviel, jede auf die andere abgestimmt" und Bedenkenswertes wie "Wer den Pfad des Habenwollens begeht, befindet sich auf dem Pfad der geistigen Leere", "Die Erde braucht Führer, die nicht mit Macht und Gier glücklich sind" oder "Was gibt es Wichtigeres, als alles zu unternehmen, um das Leben zu erleben."

Ich habe gerne Zeit mit diesem Buch verbracht, aus verschiedenen Gründen. Einmal fand ich es sehr instruktiv, zu erfahren, wie jemand so eine Reise plant und konkret auf die Beine stellt und schliesslich durchzieht - dass der Autor dabei auch seinen Enttäuschungen ("Jetzt wird mir endgültig klar: es wird gelogen und betrogen, was das Zeug hält") Ausdruck gibt, spricht für ihn; sodann gefielen mir die lehreichen (und sprachlich wohl formulierten - im Gegensatz zum zwar farbigen, doch eher holprigen Schweizerhochdeutschen des Haupttextes, das jedoch durchaus seinen Charme hat) Einschübe zu Themen wie "Angst, Mut und Vertrauen", "Kämpfen", "Muscheln in der Sahara" oder "Gold in allen Farben", von denen allerdings nirgendwo gesagt wird, von wem sie stammen (wo blieb da das Lektorat?); doch vor allem: das Aussergewöhnliche und Faszinierende, auf das Andrea Vogel sich eingelassen hat, ist sehr anschaulich geschildert und lädt zum geistigen Mitreisen ein.

Andrea Vogel
Beatrice Keck
uferlos
mit dem orion von timbuktu nach marrakesch
Südostschweiz Buchverlag, Zürich 2008
ISBN 978-3-905688-36-8

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