Sunday 29 April 2012

77 Schriftsteller

„2005 begann ich damit, Schriftsteller am Ende eines Interviews darum zu bitten, für einen Augenblick zu ihrem eigenen Gesprächspartner zu werden. Sie sollten sich selbst eine Frage stellen und sie dann auch beantworten, in der jeweiligen Muttersprache und vor dem Mikrofon“, schreibt Herausgeber Tobias Wenzel im Vorwort. Gute Idee, dachte ich, bevor ich das Buch zur Hand nahm. Jetzt im Nachhinein bin ich mir da gar nicht mehr so sicher. Das liegt zum einen daran, dass ich mit vielen Fragen und Antworten nicht viel bis gar nichts anfangen konnte, und zum andern, dass ich den Eindruck hatte, man hätte dieses Experiment auch mit irgendwelchen Leuten von der Strasse machen können, es wäre wohl in etwa auf dasselbe heraus gekommen oder anders gesagt: Schriftsteller stellen sich offenbar nicht schlauere oder interessantere Fragen und geben sich auch nicht viel schlauere oder interessantere Antworten als andere auch. Sicher, es gibt Ausnahmen. Ein paar will ich hier erwähnen:

Gao Xingjian, was haben Sie noch nicht gemacht, würden Sie aber gerne einmal machen? Musik. Ich habe einen Rhythmus in mir. Aber er ist sehr schwer umzusetzen.

Richard Ford, weisst du, was wichtig für dich ist? Nein, aber ich lege mir etwas zurecht.

Herr Enzensberger, warum sind sie nicht unglücklich? Die Zeit, die mir bleibt, ist mir dafür zu schade.

Liza (Marklund), hat das Leben einen Sinn? Eigentlich nicht. Das wissen wir ja. Und mit diesem Wissen kann man nicht leben. Deshalb haben wir die Drogen erfunden, die Religion und den Terrorismus. Aber es gibt eine Sache, die wir durchaus tun können: Ich glaube, dass wir unsere Gesellschaft, die Welt verändern können. Wenn also das Leben nun mal einen Sinn haben muss, dann sollten wir genau das tun. Das kommt anderen Menschen zugute.

Was diesen Band speziell macht, sind die eindrücklichen Fotos von Carolin Seeliger. Jonathan Franzen äussert sich zum Posieren für die Kamera so: „So paradox das auch klingen mag: Man kann sein Privatleben schützen, indem man sich selbst der Kamera aussetzt und lächelt. Wenn man ja sagt, hat man Kontrolle über eine Sache, über die man vielleicht keine Kontrolle hat, wenn man nein sagt. Je mehr man von sich preisgibt, desto geschützter ist man. Ich habe keine Ahnung, wie das funktioniert. Aber so empfinde ich es.“ Übrigens: auf dem Porträt von Franzen, das neben diesem Text abgebildet ist, lächelt er nicht.

PS: Nicht erschlossen hat sich mir, weshalb die Befragten sich in der jeweiligen Muttersprache und vor dem Mikrofon äussern sollten – im vorliegenden Buch finden sich ihre Fragen und Antworten ins Deutsche übertragen.

Tobias Wenzel / Carolin Seeliger
Was ich mich schon immer fragen wollte
77 Schriftsteller im Selbstgespräch
Benteli Verlag, Bern und Sulgen 2008

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