Wednesday 19 June 2013

Die Welt sehen

Ein ganz wunderbares Buch gilt es anzuzeigen: "Die Welt sehen", Fotoreportagen aus den Jahren 1945 bis 2000, von Margrit und Ernst Baumann. 

Viele, der in diesem schön gemachten Band versammelten Bilder, stammen aus einer Zeit als noch keine Fernsehbilder die Schweizer Wohnstuben erreichten. Das bedeutet auch, dass diese Fotos, nur schon alleine dadurch, dass es damals so viele gar nicht gab, ausgesprochen exotisch wirken. Zudem: diese Aufnahmen überzeugen auch deswegen, weil Margrit (zu dieser Zeit gab es wenige Frauen in diesem Beruf) und Ernst Baumann ein wirklich gutes Auge eignet.
1957 haben sich die beiden nach Südamerika aufgemacht: im Krankenzimmer des Migros-Frachters "Sun Adele" fuhren sie von Hamburg nach Trinidad, zehn Franken pro Tag plus Reisereportagen für die Migros-Zeitschrift "Brückenbauer" kostete die Überfahrt; zwei Jahre später kehrten sie (zu den selben Bedingungen) auf dem Schwesterschiff, der "Sun Amelia", von Montreal nach Hamburg zurück.

Die in diesem Band versammelten Reportagen erlauben dem Betrachter eine veritable Zeitreise im Lehnstuhl. Und das meint in erster Linie, dass einem vor Augen geführt wird, wie die Welt einmal ausgesehen hat. Und wie sie nicht mehr ist, obwohl man sich manchmal auch unwillkürlich fragt, ob denn einiges (zugegeben, es sind eher Ausnahmen), was heute anders ausschaut, wirklich so viel anders ist, als dazumal. Das Foto vom Fussballspiel in der peruanischen Wüste etwa, könnte eine solche Szene nicht etwa auch heutzutage so aufgenommen werden?

Fotoreportagen zeichnen sich dadurch aus, dass Bilder und Wörter sich gegenseitig ergänzen und es gilt, je mehr Informationen zu den Bildern, desto besser. Der vorliegende Band ist in dieser Hinsicht ein Glücksfall, denn der Leser erfährt auch (in Texten von Wilfried Meichtry), wie Margrit und Ernst Baumann aufwuchsen, von welchen Werten sie geprägt wurden, was sie zu ihren Reportagen bewogen hat und wie sie dabei vorgegangen sind.
Es sei ein Verdienst von Fotografen, schrieb einst Hugo Loetscher, dass sie sichtbar machten, dass wir am Unheil der Welt partizipierten und dass die heile Welt zu Hause nie so heil war, wie wir meinten. Ganz besonders gilt das für Margrit und Ernst Baumann, die, wie Wilfried Meichtry meint, in ihrer Grundhaltung sehr verwandt sind: "Beide waren und sind bis heute engagierte Beobachter des Zeitgeschehens, denen es bei ihrer Arbeit nie um Sensationen, sondern immer um den Alltag der Menschen an den verschiedensten Orten der Welt ging. Die ästhetische Dimension eines Bildes stand dabei nie im Vordergrund. 'Wir waren Handwerker', sind sie sich einig, 'es ging uns nie um schöne Bilder, sondern immer um das Erfassen einer vorgefundenen Realität.'" Nun ja, herausgekommen sind gleichwohl viele schöne Bilder.
Besonders angesprochen an diesem Band hat mich, dass auch Kopien einiger Original-Reportagen abgebildet worden sind. Unter dem Titel "Agenturen und Illustrierte. Zur Entstehung und Vermarktung der Fotografie von Margrit und Ernst Baumann" kommt Markus Schürpf zum Schluss, dass es nicht an der Qualität ihrer Fotografien liegt, dass die Fotografiegeschichte von Margrit und Ernst Baumann bisher kaum Notiz genommen hat. Vielmehr teilten sie das Schicksal von vielen anderen ihrer Generation: "Aus Reporterinnen und Reportern waren Lieferanten von Bildmaterial geworden, die für die Forschung und die Vermittlung lange als unerheblich angesehen wurden." Umso verdienstvoller, dass es nun diesen beeindruckenden Band gibt.

Margrit & Ernst Baumann
Die Welt sehen
Fotoreportagen 1945-2000
Scheidegger & Spiess, Zürich 2010

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