Lee Miller war die einzige Frau, die im Zweiten Weltkrieg das Vorrücken der alliierten Streitkräfte in Westeuropa als Kriegsfotografin begleitete. Sie "führte ein erstaunliches Leben. Besser gesagt, sie führte ein halbes Dutzend unstete, für sich stehende, erstaunliche Leben nacheinander", schreibt David E. Scherman, der selber von 1941 bis 1945 als Kriegsfotograf im Einsatz gewesen und für kurze Zeit ihr Lebensgefährte war, im Vorwort. Als von ewig nagender Neugier, sympathischem Enthusiasmus und Erfindungsreichtum hat er sie erlebt, aber auch als nervig, zänkisch und egozentrisch. Wie konnte man diese Kombination bloss aushalten? "Das ist nicht schwierig zu beantworten. Sie war auf eine bissige Art brillant und dennoch vollkommen loyal, unprätentiös und unerbittlich gegenüber jeder Art von Augenwischerei. Sie war eine vollendete Künstlerin und ein vollendeter Clown, gleichzeitig eine Hinterwäldnerin aus Upstate New York und eine kosmopolitische Grande Dame, kaltes, soigniertes fashion model und Wildfang. Sie war eine durchgedrehte Diätspinnerin und im nächsten Moment eine ausgebildete Cordon-Bleu-Köchin ...".
Und die Frau kann schreiben. Besonders eindrücklich nachzulesen ist das in ihrer Reportage "Unbewaffnete Krieger", die diesen verdienstvollen Band einleitet: "Auf der Intensivstation liegen sie, geschwächt, flach unter braunen Decken, zu jenem Zeitpunkt waren es 32, einige mit Blutplasmaflaschen, aus denen Tropfen des Lebens in einen ausgestreckten zerfetzten Arm sickern ... Ein Mann mit schlimmen Verbrennungen bat mich darum, ein Foto von ihm zu machen, weil er sehen wollte, wie komisch er aussah. Es war eine ziemlich makabre Sache, und ich stellte die Brennschärfe nicht allzu gut ein."
Man stösst in diesem Buch immer wieder auf ganz Erstaunliches, dass man so gar nicht mit seiner Vorstellung von Krieg zusammen bringt. Etwa, dass es niemand ungewöhnlich zu finden schien, dass da eine Frau von Zelt zu Zelt schlenderte, fotografierte und Fragen stellte. Oder dass zwei deutsche Chirurgen in einem Lazarett, wo beide als Kriegsgefangene einsitzen, Seite an Seite mit ihren amerikanischen Kollegen operieren.
Lee Miller schreibt von der Belagerung von Saint-Malo, von Treffen mit Picasso, Cocteau und Maurice Chevalier in Paris, berichtet davon, wie der surrealistische Dichter Paul Éluard und seine Frau Nusch mit Hilfe eines Arztes Zuflucht als unheilbar Geisteskranke in einer psychiatrischen Klinik fanden, beschreibt Deutschland als schönes Land, das von Schizophrenen bewohnt wird und beginnt ihren Artikel "Hitleriana" mit diesem Hammer-Satz: "Ich wohnte in Hitlers Privatwohnung, als sein Tod bekanntgegeben wurde."
Ein irrationaler Hass auf Deutsche begleitete sie bis an ihr Lebensende, schreibt Antony Penrose, der Sohn von Lee Miller und Roland Penrose, im Nachwort. Und: "Es war kaum überraschend, dass sie viele Nachkriegsjahre mit Depressionen und Alkoholmissbrauch verbrachte, bevor ihr eiserner Wille wiederkehrte und sie sich aus dem Abgrund herauskämpfte."
Was Lee Millers Kriegsberichte auszeichnen, meint Herausgeber Klaus Bittermann in seinem treffend betitelten Beitrag "Berichte aus einer fremden Welt", sei, dass sie "die Realität, die Widersprüche und irritierende Beobachtungen" nicht einer Ideologie unterordnete, sondern für sich sprechen liess. "Vielleicht vermitteln ihre für den Tag geschriebenen Artikel aus diesem Grund eine ziemlich genaue und lebendige Vorstellung vom Krieg und seinem Elend."
Lee Miller
Krieg
Reportagen und Fotos
Mit den Alliierten in Europa 1944-1945
Edition Tiamat, Berlin 2013
www.edition-tiamat.de
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