Anlässlich der Buchvernissage in der
Photobastei in Zürich stand ich längere Zeit vor einer
grossflächigen Aufnahme, die ein Meer von Hochhäusern zeigte und
die, wäre da nicht auf einem der Wolkenkratzer Banco do Brasil
gestanden, eigentlich überall auf der Welt hätten stehen können.
Und wenn man es recht bedenkt, ändert auch die Aufschrift Banco do
Brasil nichts daran, denn diese Bank hat auch Aussenstellen in
anderen Ländern. Nur eben: die Bildlegende sagte, es handle sich um
die Avenida Paulista in São Paulo, aufgenommen im Jahre 2002. Wie
Schubladen kämen ihm einige dieser Gebäude vor, sagt der Mann neben
mir und kaum hat er dies gesagt, sehe ich überall Schubladen auf dem
Bild.
Jänschwalde, Deutschland, 2005 © Tobias Madörin
Vor dem obigen Bild, das die ganze Wand einnimmt, steht eine Frau, die mir gefällt. Ich spreche sie an. Wüsste man nicht, wo das aufgenommen worden sei, könnte das eigentlich überall stehen, auch in Hong Kong (ich zeige auf eine Aufnahme an der gegenüberliegenden Wand; ich habe gelesen, sie sei in Hong Kong gemacht worden), sage ich. Nein, nein, erwidert sie, hier werde Kohle gefördert, das sei ein Tagebauwerk, als Kind habe sie in einem solchen gespielt. Sie stammt aus dem Osten Deutschlands, lebt aber schon länger in Zürich. Ich kann mir bestens vorstellen, wie sie als Kind in dieser Umgebung gespielt hat. Und sehe jetzt eine ganz andere Aufnahme als noch kurz zuvor.
Salinas Grandes, Argentina, 2011 © Tobias Madörin
Häufig ist es die Information zum Bild, die meine Wahrnehmung lenkt, beeinflusst, ja bestimmt. Weswegen denn auch eine Bildlegende wie "Salinas Grandes, Argentina" einigermassen problematisch ist, denn in Argentinien gibt es drei solcher Salzwüsten, eine im Osten, eine im Nordosten und eine im Süden. Um welche es sich bei diesem Bild handelt ist nicht klar, aber vielleicht ist es ja auch egal, vielleicht sehen die ja alle ähnlich aus.
Häufig ist es die Information zum Bild, die meine Wahrnehmung lenkt, beeinflusst, ja bestimmt. Weswegen denn auch eine Bildlegende wie "Salinas Grandes, Argentina" einigermassen problematisch ist, denn in Argentinien gibt es drei solcher Salzwüsten, eine im Osten, eine im Nordosten und eine im Süden. Um welche es sich bei diesem Bild handelt ist nicht klar, aber vielleicht ist es ja auch egal, vielleicht sehen die ja alle ähnlich aus.
Playa de Levante, Benidorm, España, 2002 © Tobias Madörin
Ich weiss nicht, was ich mit diesem Bild machen soll, was ich davon halten soll. Doch die Komposition gefällt mir; ich stelle mir vor, dass die Badenden wohl alle in diesen Gebäuden Platz finden würden.
Ich weiss nicht, was ich mit diesem Bild machen soll, was ich davon halten soll. Doch die Komposition gefällt mir; ich stelle mir vor, dass die Badenden wohl alle in diesen Gebäuden Platz finden würden.
Weesen, Schweiz, 1999 © Tobias Madörin
Es ist das Privileg des Fotobetrachters, dass ihm egal sein kann, was der Fotograf für Absichten gehabt hat, als er seine Aufnahmen gemacht hat. Und so betrachte ich nun also einige halb im Wasser stehende Häuser in Weesen. Ich irre mich, denn offenbar handelt es sich um eine Landhausvilla mit Garage, wie ich aus dem Begleittext von Nadine Olonetzky erfahre. "Der Pegelstand zieht eine Linie durch das Anwesen, das Inbegriff ist einer neureich-kleinkarierten Wohnidylle. Er bildet zugleich die Spiegelachse, an der die Szenerie nach unten geklappt und auf den Kopf gestellt ist: Zedern, Buchen, Föhren, ein Berg und Wolken spiegeln sich malerisch in der Wasserfläche, und so wird das Anwesen zu jenem Wolkenkuckucksheim, das es eigentlich auch ohne Flut schon ist. Als gebaute Fiktion ist es beispielhaft für viele Material gewordene Lebensentwürfe oder Wunschträume. Gleichzeitig stellt das Haus im Wasser einen Topos dar für die existenzielle Gefährdung, in welcher der Mensch nun einmal zu leben hat und die letztlich durch kein noch so hübsch konstruiertes Privatparadies zu eliminieren ist." Es versteht sich: die Häuser, die ich jetzt sehe, sind etwas ganz anderes als die Häuser, die ich zuvor gesehen habe. Auch wenn die Aufnahme noch immer dasselbe zeigt: einige halb im Wasser stehende Häuser.
Tobias Madörin
Topos
Herausgegeben von Nadine Olonetzky
Scheidegger & Spiess, Zürich 2014
Es ist das Privileg des Fotobetrachters, dass ihm egal sein kann, was der Fotograf für Absichten gehabt hat, als er seine Aufnahmen gemacht hat. Und so betrachte ich nun also einige halb im Wasser stehende Häuser in Weesen. Ich irre mich, denn offenbar handelt es sich um eine Landhausvilla mit Garage, wie ich aus dem Begleittext von Nadine Olonetzky erfahre. "Der Pegelstand zieht eine Linie durch das Anwesen, das Inbegriff ist einer neureich-kleinkarierten Wohnidylle. Er bildet zugleich die Spiegelachse, an der die Szenerie nach unten geklappt und auf den Kopf gestellt ist: Zedern, Buchen, Föhren, ein Berg und Wolken spiegeln sich malerisch in der Wasserfläche, und so wird das Anwesen zu jenem Wolkenkuckucksheim, das es eigentlich auch ohne Flut schon ist. Als gebaute Fiktion ist es beispielhaft für viele Material gewordene Lebensentwürfe oder Wunschträume. Gleichzeitig stellt das Haus im Wasser einen Topos dar für die existenzielle Gefährdung, in welcher der Mensch nun einmal zu leben hat und die letztlich durch kein noch so hübsch konstruiertes Privatparadies zu eliminieren ist." Es versteht sich: die Häuser, die ich jetzt sehe, sind etwas ganz anderes als die Häuser, die ich zuvor gesehen habe. Auch wenn die Aufnahme noch immer dasselbe zeigt: einige halb im Wasser stehende Häuser.
Tobias Madörin
Topos
Herausgegeben von Nadine Olonetzky
Scheidegger & Spiess, Zürich 2014
No comments:
Post a Comment