Das ist gekonnt, dieser Einstieg, "zehn Fahrgäste in einem Grossraumtaxi, blass und ernst, in frommes Schwarz gekleidet fast alle, chauffiert von einem mürrischen Fahrer, der sie am Flughafen aufgelesen hatte". Surreal, obwohl real. Literatur, keine Wirklichkeit. Mir ist die Wirklichkeit lieber. Doch mich fasziniert und irritiert wie Wolfgang Büscher seine Zeit in Jerusalem schildert.
Ein Armenier, von einem Freund empfohlen, soll ihm die Stadt näher bringen. Zwei Monate will er zunächst einmal bleiben. Der Armenier hat dafür nicht viel übrig. "Ich bin hier geboren und lebe seit sechzig Jahren hier, und manches verstehe ich immer noch nicht. Zwei Monate."
Ich selber wäre nach einer solchen Begrüssung davongelaufen - ich halte überhaupt nichts von Leuten, die glauben, die Länge eines Aufenthalts sage etwas über das Verstehen eines Ortes aus. Büscher ist anders, Büscher trifft sich mit dem Mann regelmässig in Cafés, unter anderem auch im k.u. k. Hospiz: "Der warme Apfelstrudel kam. Chopin perlte, Dvorák wogte, und Kaiser Franz und Kaiserin Sissi schauten aus ihren vergoldeten Rahmen auf das Wiener Kaffeehaus an der Via Dolorosa herab, in dem wir sassen." Für meinen Geschmack klingt das etwas arg schöngeistig.
Ein Frühling in Jerusalem ist genau beobachtet und sprachlich sehr differenziert, gleitet jedoch gelegentlich ab in missratene Poesie ("Eisig stand der Morgenstern, der Grosse Juwelier hatte ihn auf schwarzen Samt gelegt über Nacht."), wartet andererseits dann wieder mit ganz wunderbaren Schilderungen auf wie etwa dieser hier von einem der Cafés in der Mamilla Mall:
"Einmal fragte ich einen jungen Kellner, ob es in seinem Café schon einmal Probleme zwischen jüdischen und arabischen Gästen gegeben habe. Ein knappes 'Nein' war die Antwort. Die Frage irritierte ihn, ich sah es ihm an. Er fand sie fehl am Platz. Sie war es auch - und eben das war das Wunder von Mamilla."
Viel Historisches wird da ausgebreitet, kein Wunder bei dieser Stadt. Mehr gepackt fühlte ich mich vom Porträt eines jungen Benediktiners, aus einer liberalen Künstlerfamilie aus Süddeutschland stammend. "Das Mönchsein war ihm nicht in die Wiege gelegt worden, weder aus Tradition noch von der Familie. Er war nicht hineingeglitten oder gar geschoben worden, er hatte sich dafür entschieden."
Und dieser junge Mönch, der oft nach Tel Aviv fährt, wo er eine Gemeinde zu betreuen hat, liefert eine höchst anschauliche Charakterisierung der beiden Städte: "Israel ist ein Start-up-Land, Jerusalem ein Armenhaus. Wer jung ist und etwas verdienen will, der geht weg. Viele Israelis hassen Jerusalem, manche waren noch nie dort. Die Luft ist eine andere hier. Tel Aviv ist das israelische San Francisco. Party. Gay. Geld verdienen, Geld ausgeben. Hier oben ist es strenger, schwärzer. Früher gab es ein Ausgehviertel in Jerusalem, davon ist wenig übrig. Ultraorthodoxe und Araber prägen heute die Stadt, immer stärker, denn sie sind es, die viele Kinder kriegen."
Wolfgang Büscher wird geraten, gewisse einsame Gassen zu meiden (Überfälle, Messerstechereien), kommt zum Schluss, dass es offenbar zum Wesen heiliger Orte gehört, "dass um sie ein ziemlich unheiliger Ton herrscht, dass es ruppig zugeht und sogar grob" und beschliesst, eine Nacht eingeschlossen in der Grabeskirche zu verbringen ("Mitternacht, ich sass in der Grabeskirche, näher war dem Geheimnis nicht zu kommen auf dieser Erde.").
Er habe das Glück gehabt, weitergereicht zu werden, sagte Büscher in einem Interview. Er trifft auf Nora, Ada und Dr. John, den Autor von "I am Jerusalem", und lässt sich von ihnen Geschichten erzählen. Er ist ein ausgezeichneter Zuhörer, weiss sich zurückzunehmen. "Dr. John wurde grundsätzlich. 'Die Israelis haben ein Gutes: Wenn sie jemanden sehen, der mehr weiss als sie, dann kommen sie und hören ihn an. Die Araber tun das nicht. Israelische Historiker kommen zu mir und befragen mich, arabische nie.' Er wurde noch grundsätzlicher. 'Ich bin nicht allzu gläubig. Aber ich mag es, jeden Morgen zu beten, meist die alten Psalmen.'"
Wolfgang Büscher
Ein Frühling in Jerusalem
Rowohlt Berlin 2014
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