Es gibt Fotografien, die mich ganz unvermittelt in ihren Bann ziehen. Die Aufnahme auf dem obigen Cover zum Beispiel. Weshalb das so ist, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, doch ich kann Vermutungen anstellen: Wenn ich selber fotografiere, mache ich oft ähnliche Aufnahmen. Sie zeigen meist Unspektakuläres, Alltägliches, Dinge, die den meisten Menschen, stelle ich mir vor, zu unbedeutend erscheinen, um dokumentiert zu werden. Mir selber sind diese Aufnahmen bedeutsam, weil ich das Unspektakuläre und Alltägliche bedeutsam finde: für mich ist das Banale nicht nur speziell, sondern es zieht mich an, ich hege dafür eine zärtliche Zuneigung.
Ich gebe mich diesen Gefühlen einfach hin, die Bedeutungszuschreibung des in Kronberg bei Frankfurt am Main lebenden Fotografen Peter Braunholz ist mir fremd: "Im fotografischen Prozess findet eine Transformation vom Objekt zum Bild statt, das Wesen (der Dinge) wird offenbar und inhaltliche und formale Verbindungen und Zusammenhänge (...) werden deutlich." Das Wesen der Dinge? Wirklich?
Topophilia III, Spanien 2016 @ Peter Braunholz/Kehrer
Der 1963 geborene Peter Braunholz studierte Musik, Germanistik und Filmwissenschaften. Im Alter von 36 Jahren beschliesst er, sich ganz auf die Fotografie zu konzentrieren. "Von da an hatte es für mich Suchtcharakter." Unter seinen Vorbildern finden sich Paul Strand, Albert Renger-Patzsch, Robert Adams und Heinrich Riebesehl, denen er übrigens auch seinen Dank ausspricht. Und nicht nur ihnen, sondern noch vielen anderen mehr, von Paul Watzlawik über Edward Weston bis zu Christy Karpinski (die ich hier erwähne, weil ich seit 2014 einer der "contributing writers" ihrer Website bin).
Mir ist diese umfängliche Liste von Leuten, bei denen sich der Peter Braunholz bedankt, sehr sympathisch, weil er damit auch klar macht, dass seine Ideen und Vorstellungen nicht einfach vom Himmel gefallen beziehungsweise seinen Genen zu verdanken sind, sondern sich entwickelt haben, von anderen Menschen beeinflusst und geprägt worden sind (von den Umständen gar nicht zu reden).
Topophilia IV, Deutschland 2016 @ Peter Braunholz/Kehrer
Der als freier Kurator und Autor in Köln lebende Kunsthistoriker Gérard A. Goodrow hält in seinem Beitrag "Die dritte Wirklichkeit. Die fotografischen Welten des Peter Braunholz" fest: "Es geht hier weder um den vielbesprochenen Wahrheitsgehalt der Fotografie noch darum, wie die Wirklichkeit mithilfe der Fotografie manipuliert werden kann. Stattdessen könnte man ein jetzt schon geflügeltes Wort aus der aktuellen Politik leicht umwandeln und positiv aufladen, nämlich 'alternative Wirklichkeiten'. Nicht im Sinne von Fakten, die keine sind, sodass man sie zurechtbiegen muss, sondern vielmehr als eine alternative Art, die Welt mit anderen, vielleicht sogar fremden Augen zu sehen. Peter Braunholz spricht von einer 'dritten Wirklichkeit'".
Dritte Wirklichkeit? Das klingt in meinen Ohren nicht nur prätentiös, sondern, angesichts Peter Braunholz' eigener Ausführungen, "dass die Wirklichkeit viele Gesichter hat und dass es keine Wahrheit gibt, sondern nur Perpektiven" (eine Auffassung, die ich im Übrigen nicht teile: So gibt es etwa die Wahrheit der Schwerkraft oder des Todes, ganz ungeachtet der jeweiligen Perspektive), auch wenig einleuchtend.
Diametral I, Deutschland 2016 @ Peter Braunholz/Kehrer
Die Aufnahmen zeigen von Menschen Gemachtes wie auch Ausschnitte der Natur, sowohl schwarz/weiss als auch in Farbe und in ganz unterschiedlichen Formaten. Für Peter Braunholz ist der Ausschnitt "der entscheidende gestalterische Akt bei der Komposition einer Fotografie." Das ist zwar etwas unglücklich formuliert (der Ausschnitt ist kein Akt, sondern das Resultat eines Aktes, des Einrahmens nämlich), doch finde ich seinen Hinweis auf das Nicht-Reale der Fotografie ausgesprochen illustrativ: "Ein besonders unnatürlicher Ausschnitt ist das Quadrat, mit welchem man eine surreale Bildwirkung noch unterstreicht."
Peter Braunholz
Photographic Realities / Fotografische Wirklichkeiten
Kehrer Verlag, Heidelberg Berlin 2017
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