Im Jahre 2016 initiierte das Amt für Kultur des Kantons Freiburg die "Fotografische Ermittlung: Thema Freiburg." Ein Wettbewerb wurde ausgeschrieben und in der Folge Thomas Brasey beauftragt, ein Freiburger Thema fotografisch zu dokumentieren. Herausgekommen ist der nun vorliegende Band, der sich mit der Auswanderung von mehr als 2'000 Schweizern (darunter zahlreiche Freiburger) befasst, die im Jahre 1819 in Brasilien die Stadt Nova Friburgo gründeten.
Wie geht man sowas bloss an? Schliesslich gab es zur dieser Zeit die Fotografie noch gar nicht. Thomas Brasey habe eine "reportage de création" geschaffen, die Dokumentation und Inszenierung verbinde, schreibt Christophe Mauron, Konservator am Musée gruérien in Bulle,
Haifisch
Wie bei Foto-Büchern häufig der Fall, werden den Bildern kaum Informationen beigegeben. Als ob man den Betrachter dazu auffordern wollte, sich diese selber zusammenzusuchen. Da jedoch, wie wohl auch der Fotograf annimmt, viele Betrachter (und zu diesen gehöre auch ich) dazu nicht bereit sind, wurden Leute vom Fach beauftragt, Texte zu liefern, welche die Bilder kontextualisieren und ihnen Sinn und Bedeutung geben sollen. Zu diesen gehört der Kurator und Kritiker Sascha Renner, der, wie das Bild-Interpreten gemeinhin so tun, Sachen in diese Fotos hinein liest, die ich zwar plausibel und anregend finde, doch eben nicht auf den Bildern zu finden sind. So schreibt er etwa. "Der Hai steht sinnbildlich für die Ausbeutung der Siedler. Auch spielt er auf die zahlreichen Bestattungen auf See als Folge der unmenschlichen Verhältnisse an." Leuchtet mir ein, die Zuschreibung macht Sinn. Doch dann schreibt er: "Dass es sich dabei um ein sechs Meter langes Spezimen aus dem lokalen Naturhistorischen Museum handelt, hat lediglich anekdotische Bedeutung." Nein, hat es nicht, vielmehr macht diese Information die Absurdität des ganzen Unterfangens deutlich: Fotografisch etwas festhalten zu wollen, das stattgefunden hat, bevor es die Fotografie gegeben hat, ist schlicht unsinnig.
Estrada do Tingly
Nun gut, Thomas Brasey hat es getan, hat sich mit der Geschichte dieser Überfahrt und den Bedingungen und Umständen der Ansiedlung in Brasilien auseinandergesetzt und in der Folge Menschen, Landschaften und anderes (ein Tell-Denkmal, einen [heutigen, jedoch entwerteten?!] Schweizer Pass, Orangen und Bananen etc.) fotografiert. Die Bilder (so stelle ich mir vor, gesagt wird es mir nicht) dienen als Auslöser für andere Bilder, was auch durchaus funktioniert. Zu den für mich stärksten gehört die Abfolge der kargen Speisen für Morgen, Mittag und Abend, die den (ungewollten?) Schluss nahelegen, bei diesen Auswanderern habe es sich allesamt um Alkoholiker gehandelt (Wein zum Frühstück und zum Mittagessen, Underberg zum Abendessen).
Chalets
Es gehört zu den Eigenarten von Auswanderern, dass sie danach trachten, sich möglichst in einer Landschaft anzusiedeln, die sie an die Heimat erinnert. Und auch den Behörden im Staate Rio de Janeiro war daran offenbar gelegen, so Konservator Mauron, denn so war auch die erfolgreiche Integration wahrscheinlicher. Als Indiz, dass die Kolonisten so recht eigentlich am liebsten gar nicht ausgewandert wären, mögen die Chalets dienen.
Trotz (oder vielleicht wegen) meiner Einwände, habe ich dieses Buch immer wieder zur Hand genommen und fühlte mich vielfältigst angeregt, im Kopf nach Novo Friburgo zu reisen. Eine mit Bildern erzählte Geschichte wirkt eben klar nachhaltiger als Texte alleine es können. Die Begleittexte sind übrigens in Französisch, Deutsch, Portugiesisch und Englisch.
Thomas Brasey
Boaventura
Kehrer Verlag, Heidelberg Berlin 2018
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