Wednesday, 20 June 2018

In die Welt hinaus

Für den schwedischen Journalisten und Schriftsteller Per J. Andersson, Jahrgang 1962, ist Reisen wesentlich Therapie. "Erst wenn du in einer anderen Umgebung bist, kannst du anfangen, dich selber zu sehen. Indem du auf andere Kulturen reagierst, verstehst du, wer du bist und woher du kommst. Zu reisen, das ist, als würde man sich einen Spiegel vorhalten. Die reinste Therapie." Mir selber geht es auch so.

Menschen reisen aus den unterschiedlichsten Gründen, doch zu behaupten, wie das der Klappentext tut ("Wer reist ist nicht borniert und engstirnig. Wer weiss, wie es in anderen Weltgegenden aussieht. hat keine Angst vor dem Fremden") ist derart falsch, dass es falscher fast gar nicht geht. Ich jedenfalls habe auf meinen Reisen ganz viele bornierte und engstirnige Reisende erlebt und auch die Angst vor dem Fremden geht nicht einfach weg, wenn man in die Welt hinaus geht. Für Reisende wie auch für Zuhausebleibende gilt: Es ist die Einstellung, die zählt.

Per J. Andersson erzählt von seinen Erfahrungen in Indien und Südtirol, den USA und Griechenland, berichtet vom Reisen mit der Eisenbahn, dem Schiff und dem Flugzeug. Und auch davon, wie sich das Unterwegssein im Laufe der Zeit gewandelt hat. So machen heutzutage die Chinesen die grösste Gruppe der Auslandsreisenden aus.

Doch nicht nur Per J. Andersson, sondern auch ganz viele andere kommen in diesem Buch zu Wort. Darunter nicht wenige meiner Favoriten wie Henry David Thoreau ("In dem Moment, in dem meine Beine anfangen, sich zu bewegen, beginnen meine Gedanken zu fliessen.") und Rebecca Solnit ("Sich zu Fuss zu bewegen macht es scheinbar leichter, durch die Zeit zu reisen, das Bewusstsein wandert durch Zukunftspläne, Erinnerungen und Beobachtungen.").

Vom Schweden, der die Welt einfing und in seinem Rucksack nach Hause brachte ist auch ein sehr informatives Buch, wobei ich mich allerdings auch immer mal wieder gewundert habe, wo Sätze wie zum Beispiel dieser bloss herkommen. "Vor sechs Millionen Jahren kletterten unsere Vorväter von den Bäumen herunter." Wie haben die eigentlich in den Jahren zuvor gelebt? Von Baum zu Baum hopsend, Blätter und Zweige essend? Auch drängt es sich nicht unbedingt auf, über die Geschichte der Zähmung der Kamele zu lesen ("Vor fünftausend Jahren begann der Mensch das Kamel zu domestizieren ..."), nur weil der Autor auf einem Kamel in einem Sattel mit Steigbügeln aus Hanfseil durch die Gegend geschaukelt wird.

Doch das Positive überwiegt bei weitem. Speziell spannend fand ich des Autors Begegnungen mit Stieg Larsson und Kärsti Stiege (einer ehemaligen Sängerin in einer Punkband) oder die Bezugnahmen auf so ganz unterschiedliche Charaktere wie Walter Benjamin, Bruce Chatwin und Jean-Jacques Rousseau, "der meinte, nur dann meditieren zu können, wenn er ging" und der schrieb: "Wenn ich stehen bleibe, höre ich auf zu denken, meine Seele funktioniert nur, wenn sie mit meinen Beinen zusammenarbeitet."

Den für mich wichtigsten Grund zu reisen, erwähnt Andersson übrigens auch. "Ein Monat des Reisens kann sich wie ein ganzes Jahr anfühlen. Man erlebt mehr Eindrücke pro Minute, das Leben ist intensiviert. Für die Freunde, die zu Hause geblieben sind, scheint die Zeit hingegen stillgestanden zu haben. Das ist die reinste Zauberei."

Ein empfehlenswertes Buch!

Per J. Andersson
Vom Schweden, der die Welt einfing und in seinem Rucksack nach Hause brachte
Reisen in die Ferne und zu sich selbst
C.H.Beck, München 2018

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