Seit ich 2002 ein Semester lang in China unterrichtet habe, betrachte ich Chinesisches mit anderen Augen. Neugieriger und skeptischer. Und mich immer wieder fragend, wie man über dieses riesige und höchst vielfältige Land überhaupt Verbindliches aussagen kann. Und mich überdies wundernd, dass ein paar wenige Auslandkorrespondenten unsere Sicht von Ländern, die wir nicht aus eigener Anschauung kennen, mitbestimmen. Was unter anderem mit ein Grund ist, weshalb uns die wirkliche Welt, die sich von der Medienwelt erheblich unterscheidet, immer wieder überrascht.
Ich bin damals mit Voreingenommenheiten in Fukkien eingetroffen, die mir wenig bewusst waren und ich gehe davon aus, dass es Walter Bosshard, als er sich 1933 in Peking niederliess, auch nicht viel anders erging. So nahm ich zum Beispiel an (meine damalige Naivität erstaunt mich noch heute), dass die Jahre, die ich in Thailand verbracht hatte, mich auf China, das schliesslich auch ein asiatisches Land ist, gut vorbereitet hätten – doch weit gefehlt: China ist eine ganz andere Geschichte. Nie war mir offensichtlicher als dort, dass es immer ums Überleben geht – da wurde, meist freudlos, um jeden Millimeter gekämpft. Von seinen eigenen Voreingenommenheiten berichtet Walter Bosshard nichts, stattdessen präsentiert er sich (das haben Auslandskorrespondenten so an sich) als Abenteurer.
"Ich habe in den letzten zehn Jahren China von den unerforschten Gebieten des Kunlun und den Wüsten Zentralasiens bis zu den überfüllten Hafenstädten am Yangtse, von den mandschurischen Wäldern bis zu den Bambushainen des Südens bereist und kennengelernt. Ich habe die bedeutendsten Staatsmänner und Generäle getroffen. Ich bin den Massen des arbeitsamen, alten und doch ewig jungen Volkes begegnet und habe mit dem gewöhnlichsten Kuli die Mahlzeit geteilt. Ich habe mit Banditen Witze gemacht und ich zähle Priester und lebende Buddhas zu meinen Freunden." So klingt es heutzutage auch bei CNN. Anders gesagt: Erfolgreiche Medienleute verstehen vor allem das Sich-Selber-Anpreisen.
Mit den obigen Zeilen hat Walter Bosshard am 12. Juli 1935 seinen Vortrag im Kasino-Saal des Ullstein-Hauses in Berlin eingeleitet, wie der Herausgeber Peter Pfrunder dieses höchst aufschlussreichen Bandes – Walter Bosshard / China brennt, Bildberichte 1931 - 1939 – schreibt. Der letzte von Pfrunder zitierte Satz dieser Einleitung zeugt von einer Voraussicht, die sich mit den Jahren immer mehr zugespitzt hat. "Jedes Mal, wenn ich China verlassen hatte und dieses Reich von aussen betrachtete, wurde mir klar, dass in diesem Volk eine Energie steckt, die uns im alten Europa eines Tages gefährlich werden wird."
Im Anschluss an Peter Pfrunders einleitenden Überblick, gliedert sich das Buch in die folgenden, chronologisch angeordneten Kapitel. 1931: Eröffnung der chinesischen Nationalversammlung. 1931-1933: Japanische Besetzung der Mandschurei. 1933-1936: Reisen ins Landesinnere. 1934-1936: Kühles Grasland Mongolei. 1937: Beginn des Zweiten Sino-Japanischen krieges. 1938: Im Roten China - Besuch bei Mao Zedong. Mobilisierung der Landbevölkerung. Song Meiling (die Gattin von Tschiang Kai-shek). Der Fall von Hankou.(der provisorischen Hauptstadt).
Bosshards stilvolles Auftreten sei legendär gewesen, lese ich, und die Bilder, auf denen er in diesem Buch zu sehen ist, bezeugen das. Attraktiv, jovial, der perfekte Gastgeber sei er gewesen (auf mich wirkt er Dandy-haft), doch habe er auch eine andere Seite gehabt, eine durchaus fragile und sensible. "Bosshards Einsamkeit mag mitunter erklären, weshalb der ruhelose Fotojournalist immer wieder von Neuem einen unerhörten Aktivismus entwickelte und gerade getrieben war, sich den Gefahren und Risiken auf Expeditionen oder an der Front auszusetzen."
Besonders interessant (nicht zuletzt, weil solche Ausführungen selten sind) fand ich Peter Pfrunders Aufklärungen zu den Bedingungen des Fotojournalismus jener Jahre und darüber, wie das Medium Film sich auf die Art und Weise wie Reportagen gestaltet wurden auswirkte. Und ebenso die Anekdoten um die Freunde und Rivalen Bosshard wie etwa Robert Capa, denn sie beleuchten in der Tat, wie Pfrunder schreibt, "die komplizierten Arbeitsbedingungen und den Druck, dem Fotojournalisten ausgesetzt waren."
Auf den letzten Seiten dieses eindrücklichen Werkes geben Herausgeber Pfrunder und Madleina Deplazes, Research Curator (was es nicht alles gibt!) der Fotostiftung Schweiz, Hinweise auf den fotografischen Nachlass, welche erahnen lassen, was für eine Herkulesarbeit hinter diesem Projekt steht. Für an Fotografie und Weltgeschichte Interessierte ist dieses Buch ein wahres Juwel!
WALTER BOSSHARD / CHINA BRENNT
Bildberichte 1931 - 1939
Herausgegeben von Peter Pfrunder
Limmat Verlag Zürich / Fotostiftung Schweiz 2018
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