"Es war mir nicht bewusst, aber er
hat mich durch seine Art, zu sein und zu denken, enorm beeinflusst",
notiert Isaku Yanaihara auf den ersten Seiten von Mit Alberto
Giacometti. Annette Giacometti, Albertos Witwe, hat dieses
Tagebuch, als es in Tokio in den Handel kam, mit einem weltweiten
Bann belegt. Vermutlich lag das daran, dass sie und Yanaihara
offenbar eine Affäre hatten. "Annette begleitete mich jede
Nacht ohne Ausnahme in mein Hotel und kehrte gegen vier Uhr morgens
nach Hause zurück." Das Buch durfte jahrzehntelang in keine
andere Sprache übersetzt werden. Nun liegt es, direkt aus dem
Japanischen übertragen, zum ersten Mal auf Deutsch vor.
Insgesamt 228 Mal ist der
Philosophieprofessor aus Tokio in den Jahren 1956 bis 1966 Alberto
Giacometti Modell gesessen. Und besonders angenehm hat sich das nicht
angefühlt, denn es galt still zu sitzen und sich nicht zu bewegen.
"Ich versuchte an nichts zu denken, aber vergebens. Wenn man
nicht zu denken versucht, steht einem auch dieser Gedanke
unweigerlich ins Gesicht geschrieben. Es ist nun mal so."
Giacometti ist ein Besessener, ein
Getriebener. "Die tägliche Arbeit begann in freudiger
Erwartung, um dann kurz vor der Verzweiflung innezuhalten, lange
dabei zu verharren und schliesslich in erbitterter Hoffnung auf den
nächsten Morgen zu enden."
Sie unterhalten sich über gar
Vielerlei. Über Paris, Japan, Stampa, den Fortschritt, von dem
Giacometti nicht viel hält, das Malen. "Sehen Sie, in einer
wirklichen Landschaft existiert nicht eine einzige grelle Farbe, es
gibt weder das Grün noch das Rot aus der Tube. Bäume, Häuser,
Dächer, Himmel, alles ist von einem kontinuierlichen Grau; die
Unterschiede bestehen lediglich in komplexen und feinen Abstufungen.
Farben gibt es so gut wie gar nicht."
Giacometti sieht anders als andere. Und
er will Yanaihara so malen wie er ihn sieht. So sieht er etwa
Ähnlichkeiten zwischen Vater, der gerade in Paris zu Besuch gewesen
war, und Sohn Yanaihara, die der Sohn jedoch überhaupt nicht sieht.
Doch, doch, meint Giacometti und weist auf die Partie zwischen den
Augen und die Kopfform.
Unablässig zweifelt er. "Je
schöner die Wirklichkeit erscheint, desto schwieriger wird es, sie
korrekt abzubilden. Gleichzeitig wächst die Leidenschaft, sie
richtig wiedergeben zu wollen. Wunsch und Verzweiflung ringen
miteinander und werden so gross, dass sie einen zu erdrücken
drohen."
Unter anderen kommen Jean Genet,
Jean-Paul Sartre ("Was mich bei Alberto am meisten überrascht,
ist seine Leidenschaft für das Nichts, beziehungsweise sein
leidenschaftlicher Wunsch, etwas in diesem Nichts zu fassen zu
bekommen. Kunst ist ein Akt der Nichtung, und niemand weiss das
besser als er.") und Simone de Beauvoir zu Wort.
Der Band enthält auch zahlreiche
Schwarz/Weiss-Fotografien (eine zeigt Giacometti in Stampa, wo er
ohne Unterbruch und noch besessener arbeitete als in Paris, wo er
gelegentlich "wegen irgendwelcher unerlässlicher
Angelegenheiten Leute treffen" musste) sowie ein Bilddossier mit
Porträts, die Alberto Giacometti von Isaku Yanaihara gemacht hatte.
Ergänzt werden die Aufzeichnungen von zwei Nachworten, das eine
stammt von Gérard Berréby und Véronique Perrin, das andere von
Nora Bierich. Der Verleger Piet Meyer hat Aufzeichnungen über "Das
editorische Umfeld zur vorliegenden Publikation" beigesteuert.
Isaku Yanaihara: Mit Alberto
Giacometti ist auch gestalterisch ein sehr ansprechendes Buch,
hochformatig, mit leserfreundlicher Schrift und einer durchsichtigen
Schutzhülle, die Yanaiharas Porträt zeigt.
Isaku Yanaihara:
Mit Alberto Giacometti
Ein Tagebuch
Piet Meyer Verlag, Bern/Wien 2018
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