Wednesday 7 November 2018

Paul Beatty: Der Verräter

Auf Paul Beatty aufmerksam geworden bin ich eines Interviews wegen, das er dem Londoner Guardian gegeben hat. Das war im Januar 2017 und der amerikanische Autor sagte dabei unter anderem, dass Trumps Aufstieg für ihn kein Schock gewesen sei und dass die Rassenbeziehungen auch unter Obama sich nur marginal verbessert hätten. Zudem meinte er: Eines der Phänomene, die in den letzten Jahren (nicht nur in Amerika) zugenommen hätten, sei, dass Verantwortliche selten zur Rechenschaft gezogen würden.

Sein neuestes Buch, Der Verräter, für das er mit dem National Book Critics Circle Award sowie dem Man Booker Prize ausgezeichnet wurde, handelt von den komplexen Rassenbeziehungen in Nordamerika, philosophisch, zornig und sarkastisch.

Ich habe Tränen gelacht, als ich den Prolog las. Er beginnt so: "Aus dem Mund eines Schwarzen klingt das sicher unglaublich, aber ich habe nie geklaut. Habe nie Steuern hinterzogen oder beim Kartenspiel betrogen. Habe mich nie ins Kino gemogelt oder merkantile Gepflogenheiten und die Erwartungen von Mindestlohnempfängern ignoriert, indem ich einer Drugstore-Kassiererin das überschüssige Wechselgeld vorenthalten hätte. Ich bin nie in eine Wohnung eingebrochen Habe nie einen Schnapsladen ausgeraubt. Habe mich in vollbesetzten Bussen oder U-Bahnen nie auf einen Platz für Senioren gepflanzt, meinen gigantischen Penis rausgeholt und mir lüstern, aber auch leicht zerknirscht einen runtergeholt …".

Da guckt einer hin, genau und hart. Und da er selber schwarz ist, darf er sagen, was Weisse nicht sagen dürfen beziehungsweise sich nicht zu sagen trauen. Und er sagt es. "Sie würden es nie zugeben, aber jeder Schwarze glaubt, es wäre besser als jeder andere Schwarze." Von Hamp, eigentlich Hampton Fiske, dem Anwalt und alten Freund des Erzählers, heisst es. "Er nennt uns die Elenden der Erde. Leute, die einerseits zu arm sind, um sich Kabelfernsehen leisten zu können, und andererseits zu blöd, um zu wissen, dass sie gar nichts verpassen."

Selten ist mir deutlicher geworden, wie unglaublich stupid und beschränkt es ist, jemanden auf seine Hautfarbe zu reduzieren. Toll, das es dieses wunderbar unterhaltsame und clevere Buch gibt, das nicht endlos Probleme diskutiert und Diskriminierung beklagt, sondern sich grundsätzliche Gedanken übers Leben macht, klar und deutlich, mit Witz und Haltung. 

Worum geht's? Der Erzähler von Der Verräter wächst als Versuchskaninchen des Begründers und einzigen Praktizierenden der Freiheitspsychologie in Dickens, einem verarmten Vorort von Los Angeles auf, wo er friedlich Wassermelonen und Marihuana zieht. Als sein Vater von der Polizei erschossen wird, erwartet man in der Nachbarschaft, dass der Sohn der nächste Niggerflüsterer werden würde, doch dieser hat andere Pläne – er will das von der Gentrifizierung bedrohte Dickens retten, mit Hilfe des durchgeknallten Hominy, eines alternden Leinwandhelden, und unterstützt vom hochgeachteten Gangster King Cuz ("Dein Dad hielt mich für bipolar, aber in Wahrheit bin ich nur ich selbst."), das Ziel ist die Wiedereinführung von Rassentrennung ("Die Apartheid hatte das schwarze Südafrika zusammengeschweisst, warum also nicht auch Dickens?") und Sklaverei.

Entgegen den offiziellen Verlautbarungen gibt es sowohl Rassentrennung wie auch Sklaverei nach wie vor – nicht offiziell natürlich, doch in Gesetzen steht bekanntlich vieles, was in der Realität so nicht existiert. Dank Trump hat sich ein Amerika ans Licht gewagt, von dem man lange Jahre nichts hat wissen wollen. Der "ugly American" ist wieder da, fürchten heute einige, wahrscheinlicher ist, dass er gar nie weg war.

Ich kann mich an kein Buch eines Schwarzen (oder einer Weissen) erinnern, das sich derart nüchtern und kritisch mit Afroamerikanern auseinandergesetzt hat. Für mich macht er damit die Schwarzen zu denselben Deppen wie die Weissen und das wirkt befreiend. "Eine traurige Ironie des afroamerikanischen Lebens besteht darin, dass jedes banale und chaotische Miteinander 'Sitzung' genannt wird. Und weil die Sitzungen Schwarzer nie pünktlich beginnen, weiss man nie, wie viel Verspätung man riskieren darf, um cool zu wirken, ohne die Sitzung komplett zu verpassen."

Zu meinen Highlights gehört die Schilderung einer Sitzung, bei der einer der Teilnehmer ("Er hatte sich im Laufe der letzten zehn Jahre kaum verändert, nur siebzehn Kilo zugelegt.") Anstoss an Mark Twains Huckleberry Finn nimmt, weil Twain darin dauernd das 'N-Wort' benutzt habe. "'Ich habe das ekelhafte 'N-Wort' durch 'Krieger' ersetzt, das Wort 'Sklave' durch 'dunkelhäutiger Freiwilliger.' 'Recht so!', schreit das Publikum. 'Ausserdem habe ich Jims Sprache verbessert, den Plot etwas aufgepeppt und das Buch unbenannt in Die pejorativumfreien Abenteuer und intellektuellen und geistigen Reisen des afroamerikanischen Jim und seines jungen weissen Schützlings und Bruders Huckleberry Finn, die sich auf die Suche nach dem verlorenen Zusammenhalt der schwarzen Familie begeben."

Doch Paul Beatty hat mit Der Verräter kein Buch über Rassismus geschrieben ("... und eigentlich solltest du klug genug sein, um zu wissen, dass nicht die Rasse das Problem ist, sondern die Klasse.") und auch als Satire, wie viele Kritiker es bezeichnet haben, sieht er seinen Text nicht, weil eine solche Charakterisierung auch eine Leseanleitung ist, die er ablehnt. Was also ist es? Ganz Vieles und ganz Unterschiedliches, ein scharfer, illusionsloser und humorvoller Blick auf die soziale Realität. Kein Sich-Wegducken vor der Komplexität der Welt, sondern ein Sich-Damit-Konfrontieren und Stellung beziehen.

Der Verräter ist ein grossartiges Buch, hervorragend aus dem Amerikanischen übersetzt von Henning Ahrens, mit einem ganz wunderbaren Umschlag, gestaltet von buxdesign München – ein in jeder Beziehung höchst gelungenes Werk!

Paul Beatty
Der Verräter
Luchterhand, München 2018

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