Wednesday, 3 April 2019

Fotografinnen an der Front

Dass Frauen den Zugang zu Domänen suchen, die bislang von Männern in Beschlag genommen wurden, gilt als selbstverständlich. Ebenso, dass er ihnen gewährt werden soll. Ich wüsste auch gar nicht, was dagegen sprechen sollte, nur entzieht sich mir, weshalb jemand, ob Frau oder Mann, den Krieg fotografieren will. Siehe auch https://www.eurozine.com/shooting-pictures/.

Auskunft darüber gibt unter anderem der vorliegende Band, in dem Frauen, die an die Front gegangen sind, von ihren Motiven berichten. "Mit Fotos kannst du sie wachrütteln", behauptete Françoise Demulder (1947-2008); "Wenn ich es nicht fotografiere, wird es nicht bekannt", argumentierte Anja Niedringhaus (1965-2014). Für mein Dafürhalten realistischer äusserten sich Susan Meiselas (geb. 1948): "Die Kamera ist ein Vorwand, irgendwo zu sein, wo man sonst nicht hingehört." Und Lee Miller (1901-1977): "Mit dem Ende des Krieges scheine ich meinen Halt oder meinen Enthusiasmus oder irgendwas verloren zu haben. Es scheint, als ob es keine Dringlichkeit mehr gäbe."

Spezifisch fraulich scheinen mir diese Antworten nicht, ich habe von Männern Ähnliches gelesen. Und auch beim Betrachten der Bilder kann ich nichts erkennen, was ich auch bei von Männern aufgenommenen Fotografien sehen kann beziehungsweise gesehen habe. Unter den Aufnahmen in diesem Band gibt es einige, die sich mir sofort eingraben. Etwa der kanadische Soldat, der im September 2010 auf Patrouille in Salavat, Afghanistan ein Huhn verjagt (Anja Niedringhaus) oder das im Sand sitzende Kind, das Christine Spengler 1976 in einem Flüchtlingslager in der Westsahara fotografiert hat.

Die Texte zu den einzelnen Fotografinnen sind ganz unterschiedlich; mich haben vor allem die zu Christine Spengler, die mir nicht bekannt war (Ingo Borges) und Anja Niedringhaus, von der ich nur wusste, dass sie in Afghanistan ums Leben kam (Anne-Marie Beckmann), angesprochen.

Aufschlussreich ist insbesondere das Vorwort von Anne-Marie Beckmann und Felicity Korn. Treffend halten sie fest: "In ihrer nunmehr 170-jährigen Geschichte hat sich die Darstellung militärischer Kampfhandlungen und ihrer Folgen stark gewandelt. Ihre Hauptfunktion ist dennoch über viele Jahrzehnte die gleiche geblieben. Die Fotografien von den Fronten sollen in erster Linie die Mächtigen und die Militärs über den Verlauf des Kriegsgeschehens informieren, die Legitimität der Einsätze gegenüber der Bevölkerung untermauern, die Moral der eigenen Soldaten stärken und die des Feindes schwächen."

Fotografinnen an der Front
Von Lee Miller bis Anja Nierdringhaus
Prestel, München-London-New York 2019

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