Wednesday 10 April 2019

Eine etwas andere Biografie

Diese Biografie ist zuerst und vor allem ein grosses Lesevergnügen, denn die 1924 in Zürich geborene Charlotte Peter schreibt farbig, flüssig, differenziert und nie langweilig. Irritiert hat mich jedoch der Titel,  Die Geschichte eines hässlichen Mädchens, der allerdings insofern treffend ist, als die Autorin ganz offensichtlich stark unter dem Schönheitsideal, dem sie offenbar nicht entsprach, gelitten hat. Natürlich weiss sie, dass Schönheit "sowohl Glück als auch Ungemach bringen" kann, doch Wissen hilft selten und besonders selten gegen seelische Traumata. Andererseits: Originell ist es ja schon, eine Biografie unter dem Aspekt (und als Auseinandersetzung mit) der Schönheit zu schreiben.

Auch die Kapitel-Überschriften machen klar, dass dies, wie der Untertitel sagt, Eine etwas andere Biografie ist: Die schöne Grossmutter – eine Heidi der anderen Art; Meine schönen Freundinnen; Schönheit im Büro, auf der Bühne und im Bundeshaus; Schönheit, Liebe, Lust und Frust; Philosophische Betrachtungen zur Schönheit im Alter.

Mir hat es vor allem der Sprachrhythmus Charlotte Peters angetan. So hält sie etwa über ihre Grossmutter Paula, "ein armes, aber sehr hübsches Bauernmädchen" fest: "Sie besuchte jeden Sonntag die Kirche, las keine Bücher, interessierte sich weder für Mode noch für Blumen, noch für Sport, noch für Musik, Strickte pro Jahr zwei Pullover, einen für mich und einen für meine Schwester Ruth, sie tat vierzig Jahre fast nichts als aus dem Fenster schauen, war freundlich und still, sie atmete, doch sie lebte nicht. Die Schönheit hatte einst ihr Schicksal bestimmt, nun welkte sie dahin wie eine müde Rose."

Sie berichtet von ihrer ewig frustrierten Mutter, die sich offenbar ständig über Nichtigkeiten aufregte. "Bald darauf ein Zwischenfall mit einer Büchse Spargel, auf der es hiess "se obra de otro lado (spanisch für 'auf der anderen Seite öffnen') ...", nur dass das auf Spanisch richtig heisst "se abra" (überhaupt hätte das Buch ein sorgfältiges Korrektorat gebraucht, ein "Collage in Oxford" gibt es nämlich auch nicht), erzählt von Eifersüchteleien unter Schweizer Journalisten, deren Namen allerdings den Wenigsten noch geläufig sein dürften und weiss sich nüchtern einzuordnen. "Eine Starreporterin bin ich nie geworden, doch ich konnte öfters mit ehrlichem Interesse, ordentlichem Wissen und vielen Erfahrungen punkten, kurz, ich habe mich auch ohne Dior und Chanel im Pressedschungel recht gut durchgemausert."

Die Geschichte eines hässlichen Mädchens ist natürlich auch (das ist bei Biographien so recht eigentlich nicht zu vermeiden) ein Stück Zeitgeschichte wie sie sich unter anderem im Journalismus (the first draft of history) zeigt. So verfasste Charlotte Peter für die "Annabelle" Reportagen unter dem Motto "So lebt die Schweiz", die allerdings eher einer Wunschvorstellung als der Realität entsprachen. Ohne gepolstertes Bankkonto ging gar nichts und die Kosmetikindustrie gehörte zu den wichtigsten Inserenten, weshalb denn auch die Kosmetik zu den zentralen Themen der Zeitschrift gehörte. "Ich nannte die Rubrik im Stillen 'So lebt die Schweiz nicht'."

Charlotte Peter ist weit herum gekommen, erzählt von chinesischen Sitten und afrikanischer Kunst, berichtet von ganz unterschiedlichen Frauenschicksalen und notiert über Jacky Kennedy: "Die Frau muss kühl gewesen sein wie Zitroneneis, doch sie galt als eine Art höheres Wesen und wurde dafür vom Fussvolk geliebt."

Die Geschichte eines hässlichen Mädchens ist eine witzig-pragmatische ("Oder bin ich schlicht und einfach unterkühlt geboren worden? Ich habe es nie herausbekommen.") vom gesunden Menschenverstand geprägte Lebensgeschichte einer Frau, die die eigene Meinung nicht zum Massstab aller Dinge macht (so zitiert sie immer mal wieder die gelegentlich divergierenden Einschätzungen ihrer Schwester). Kurz und gut: unterhaltsam, anregend und aufklärend.

Charlotte Peter
Die Geschichte eines hässlichen Mädchens
Eine etwas andere  Biographie
Münster Verlag, Basel 2018

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