Theodor de Bry, geboren 1528 in Lüttich, gestorben 1598 in Frankfurt am Main, war Goldschmied, Kupferstecher und Verleger. Zwischen 1590 und 1634 gab er zusammen mit seinen beiden Söhnen Johann Theodor und Johann Israel sowie Johann Theodors Schwiegersohn, Matthäus Merian, in Frankfurt am Main die America-Serie heraus, eine monumentale Sammlung von Reiseberichten, die zu den eindrucksvollsten Buchreihen der Menschheitsgeschichte gehört, wie ich aus dem Text von Michiel van Groesen erfahre, der diesen hochkarätigen Band einleitet. Die de Brys hatten als Erste die Technik des Kupferstichs in den Buchdruck integriert. "Da sie jedoch selbst nie reisten, verliessen sich die de Brys für ihre Stiche auf Vorlagen aus den Originalberichten oder auf ihre eigene Fantasie. Tatsächlich scheinen sie mehr als 40 Prozent der in der Buchserie abgedruckten Kupferstiche in ihrer Frankfurter Werkstatt frei erfunden zu haben. Damit erfanden sie ein spezifisches Bild von der Welt jenseits des Atlantiks und vom Orient, das half, die europäische Kolonisation für die nächsten 200 Jahre zu legitimieren."
Theodor de Brys America ist ein prachtvoller Band, speziell für Sammler; die Texte von Michiel van Groesen und Larry E. Tise liefern höchst aufschlussreiche Informationen. So ging es den de Brys beileibe nicht darum, die fremden Kulturen möglichst wahrheitsgetreu abzubilden. Im Gegenteil, sie bemühten sich "die Diskrepanz zwischen zivilisierten (christlichen) Reisenden aus Europa und den wilden, unkultivierten Heiden aus Afrika, Asien und Amerika hervorzuheben." Mit anderen Worten: Sie zeigten die Welt wie sie sie sehen wollten.
So gab es etwa für die damals populären Brasilienberichte des deutschen Landsknechts Hans Staden und des hugenottischen Geistlichen Jean de Léry als Illustrationen nur grobe Holzschnitte ohne Details. "Mit allen Mitteln und Möglichkeiten der Kupferstichkunst erweiterten die de Brys die Anzahl der Tafeln auf 30, um den Kannibalismus in Portugiesisch-Amerika besonders plastisch ins Bild zu setzen. Diese Szenen müssen in Europa mehr Anklang gefunden haben als alle anderen Bildschöpfungen aus dem Haus der de Bry, denn sie wurden wieder und wieder kopiert und angepasst, um die Geschichte von den brasilianischen Menschenfressern publik zu machen und zu bestätigen."
Daraus zu schliessen, es wäre den de Brys wesentlich um Ideologie gegangen, ist jedoch gemäss Michiel van Groesen falsch. Die Gründe waren kommerzieller Natur. "Die deutschsprachichen Ausgaben waren an ein protestantisches Publikum gerichtet und übten Kritik an den Kolonialbestrebungen katholischer Imperialmächte wie Spanien und Portugal. Die lateinischen Ausgaben dagegen wurden in katholischen Ländern wie Frankreich und Italien, in Süddeutschland und auch in Spanien und Portugal angeboten. Für diese KLänder passten die de Brys die Texte gewissenhaft an, um ein milderes Bild des iberischen Kolonialismus zu zeichnen."
Die Manipulationen an den Reiseberichten zeigten sich jedoch nicht nur bei den Texten, sondern ebenso an den unterschiedlichen Kolorierungen der Kupferstiche. So führt Larry E. Tise aus: "Deutsche Abdrucke sind dicht und schwer in dunkle Grün-, Rot- und Schwarztöne getaucht. Die Haar- und Hautfarbe der an der Küste Virginias lebenden Algonkin ist dramatisch gewählt – die Männer muten finster und bedrohlich an, die Frauen, mit blondem Haar und blauen Augen, geschmeidig und verführerisch (....) Die verschiedenen Varianten in der farblichen Gestaltung sind kein Zufall. Sie reflektieren höchst unterschiedliche Interpretationen der in Theodor de Brys Kupfertafeln dargestellten Welt der amerikanischen Ureinwohner."
Um einen Eindruck von den dargestellten Themen zu vermitteln, hier eine Auswahl von Textüberschriften von Band II Florida (insgesamt sind es neun Bände: Virginia, Florida, Brasilien, Karibik & Zentralamerika, Mittelamerika, Peru, Río de la Plata, Karibik, Mexiko & Magellanstrasse): Die Einheimischen von Florida verehren die Säule, die der Kommandant auf seiner ersten Reise hatte errichten lassen; Die Franzosen wählen einen Ort, um eine Festung zu bauen; Ansicht von Fort Caroline; Welche Zeremonie Saturioua ausführt, bevor er in den Krieg zieht .. und und und ....
Ein wunderbar gestalteter, informativer und höchst eindrücklicher Band, der nicht zuletzt Zeugnis davon gibt, wie der Mensch die Welt nach seinen Vorstellungen schafft.
Michiel van Groesen (Hg.); Larry E. Tise
Theodor de Bry
America
Sämtliche Tafeln 1590-1602
Taschen, Köln 2019
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