Wednesday 23 October 2019

Durch die Nacht

Stig Sæterbakken (1966-2012) gehöre zu den wichtigsten norwegischen Autoren der letzten Jahrzehnte, entnehme ich der Verlagsinformation und rege mich bereits auf, weil das eine dieser absolut idiotischen Aussagen ist (dass sie von Karl Ove Knausgård ist, macht sie nicht besser), die allerdings wunderbar in unsere Zeit der Superlative passt. Wichtig für wen? Nach welchen Kriterien? etc. etc. Sicher, mir wäre auch lieber, ich könnte das entspannter sehen, einfach als Ausdruck der gängigen Marketing-Mentalität, nur eben: ich empfinde Marketing an sich schon eine Zumutung.

Doch ich will zum Text kommen. Und der  hat es in sich. Der achtzehnjährige Sohn des Zahnarztes Karl Meyer hat  Suizid begangen. Karls Frau Eva steht unter Schock, die Tochter Stine verstummt, der Zahnarzt hört von einem Haus in der Slowakei, wo "man mit den schlimmsten Ängsten seines Lebens konfrontiert werde" und das man entweder gebrochen oder geheilt verlässt.

Stig Sæterbakken erzählt vom Beginn seiner (des Zahnarzts) Liebe zu Eva (ich lese diesen wie auch jeden anderen Text als weitestgehend autobiografisches Dokument. Andererseits: "Ich wunderte mich, wie sie, unverheiratet und gänzlich unerfahren, was langjährige Beziehungen anging, so eingehend und durchaus überzeugend und wahrheitsgemäss, wie ich oft festgestellt hatte, von etwas schreiben konnte, nie selbst erlebt hatte. Einmal versuchte sie mir, ohne dass ich es wirklich nachvollziehen konnte, zu erklären, dass man oft am besten über das schreibt, wovon man am wenigsten versteht.") und stosse dabei auch auf diesen wunderbar wachen, mich begeisternden Satz: "... und ich war in Gedanken ganz bei ihr, dadurch, dass ich nicht ein Mal an mich dachte, war ich voll und ganz ich selber." Als Eva ihn fragt: "Was glaubst du, wir beide für immer?" schreckt er zusammen und fragt sich, "wie oft die Fragen, die wir dem anderen stellten, in Wirklichkeit Fragen waren, die wir selbst gestellt haben wollten." Es dauert dann eine Weile, bis er sich findet. "Eva? "Ja?" "Ich liebe dich."

Dem Suizid des Sohnes ist eine Liebesverhältnis von Karl mit der wesentlich jüngeren Mona vorangegangen. Der Sohn ist wütend darüber, die Tochter nimmt es einigermassen gelassen und Eva verhält sich derart beherrscht, dass Karl es fast nicht aushält. Das ist derart eindringlich geschildert, dass einem gelegentlich fast der Atem stillsteht.

Die Beziehung mit Mona hält nicht. "Als ob ihre Vorstellung von Liebe darin bestand, geliebt zu werden, aber nicht zu lieben ... Ein egozentrisches Kind." Karl kehrt zu seiner Familie zurück, doch nichts ist mehr wie es einmal war und so verlässt er sie wieder, reist nach Deutschland und dann zu diesem Haus in der Slowakei, begleitet von Erinnerungen, wo man nicht das bekommt, was man haben möchte. "sondern das, was man nicht haben will."

In einem Lokal kommt er mit einem alten Mann ins Gespräch, der ihm erklärt, das Haus wirke wie eine Art Depressivum und dass alle, die hineingingen, verzweifelt wieder heraus kämen. "Mir wurde klar, dass ich mich so gern mit ihm unterhalten hatte, weil er über das gebotene Mass hinaus mitteilsam war und auch mir Fragen gestellt, nicht bloss auf die meinen geantwortet hatte, sodass ich bis ganz zum Schluss darauf hoffen konnte, er würde mich fragen, wozu ich gekommen sei, warum um alles in der Welt ich in dieses schreckliche Haus wollte."

Und dann tritt er ein ...

Stig Sæterbakken
Durch die Nacht
Dumont, Köln 2019

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