Wednesday 22 July 2020

Mit dem Rücken zur Wand

Arthur Koestlers Augenzeugenbericht Mit dem Rücken zur Wand stammt aus dem Sommer 1948. Der für den Manchester Guardian, den Figaro und die New York Herald Tribune akkreditierte Journalist traf drei Wochen nach der israelischen Unabhängigkeitserklärung im Land ein. Die Lage war ungewiss, die verbündeten Armeen der Nachbarländer hatten Israel den Krieg erklärt.

Der 1905 in Budapest geborene und 1983 in London gestorbene Arthur Koestler, ein intensiver Suchender, war als Student Zionist, später Mitglied der Kommunistischen Partei und nach den stalinistischen Schauprozessen deren entschiedener Gegner.

Die englische Originalausgabe erschien 1949 und wurde, so der Pressetext, "als Teil einer grösseren Arbeit in den USA veröffentlicht. Die Publikation geriet damals rasch in Vergessenheit." Es verwundert daher nicht, dass die jetzt erstmals auf Deutsch vorliegende Ausgabe vom Verlag als "bemerkenswertes Zeitdokument" bezeichnet wird.

Hier soll jedoch von etwas Anderem die Rede sein: Wie wirkt dieser Text auf jemanden, der weder mit dem Zionismus noch mit Israel vertraut ist und dessen Interesse an Geschichte sich zudem in Grenzen hält? Überaus spannend und vielfältig anregend, weil da ein sehr eigenständiger Bobachter und Denker am Werk gewesen ist.

Sprache erzeugt Bilder im Kopf. Zu den Szenen, die sich Koestler besonders eingeprägt haben (und durch seine Schilderung mir ebenso) gehören zwei uralte Araber, ein Mann und eine Frau, an die Wand einer unbenutzten Garage gelehnt "wie die Gliederpuppen eines Marionettentheaters nach dem Ende der Vorstellung" sowie die drei bärtigen alten Juden im Innenraum der alten Ari-Synagoge, die die Kabbala studierten, "jeder versunken in seine eigene, hermetisch abgeschlossene Welt."

Mit dem Rücken zur Wand ist die Art von Journalismus, die zunehmend selten geworden ist und weit über die Tagesaktualität hinausreicht. "Alle Armeen sind Brutstätten regelrechter Seuchen des Infantilismus", schreibt er einmal. Und: "Extreme Empfindlichkeit und ein fehlender Sinn für Humor sind typische Merkmale der Pioniermentalität."

Besonders spannend liest sich das Kapitel mit dem Titel "Das Ende des Terrorismus und die Festigung staatlicher Autorität", in dem die beiden vormals rivalisierenden Untergrundbewegungen (die extremistische Minderheit Irgun einerseits und die moderate Mehrheit Haganah andererseits) aneinander gerieten. Dass es nicht zum Bürgerkrieg kam, "lag zu einem Teil am vernünftigen Verhalten der einfachen Soldaten der Haganah, die ihre Gefangenen von der Irgun wie Kameraden behandelten und sich nicht um das wütende Gezeter Ben Gurions kümmerten. Zum anderen Teil lag es an Menachem Begin ...".

Mit dem Rücken zur Wand ist ein gelungenes Beispiel dafür, dass es subjektiv berichtende, der Wahrheit verpflichtete Chronisten braucht, damit die Nachwelt erahnt, was einst vorgefallen ist.

Arthur Koestler
Mit dem Rücken zur Wand
Israel im Sommer 1948
Ein Augenzeugenbericht
Elsinor Verlag, Cosfeld 2020

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