Sunday 21 February 2021

Vom Interkulturellen und dem richtigen Zeitpunkt

 Armando und Myriam sitzen zu Füssen eines Meisters in einem buddhistischen Meditationszentrum bei Chonburi (Thailand) und warten gespannt, was der Übersetzer ihnen gleich sagen wird. "He said you must practice" Armando lachte. Er wird doch bestimmt noch etwas mehr gesagt haben? Schliesslich redete er geschlagene zehn Minuten! Der Übersetzer fragt nach, der Meister redet wiederum so in etwa zehn Minuten, der Übersetzer, offenbar kein Mann vieler Worte, fasst zusammen: "He said you must practice."

"Schon klar, genau darauf kommt es letztlich an", sagt mein Bruder Thomas, der im amerikanischen Santa Fe lebt.

"Weisst Du, was ich so sonderbar finde? Bei uns heisst das: Übung macht den Meister. Doch das klingt nach Pflicht. Und ist mit einem Gefühl von Unlust verbunden. Aber so recht eigentlich meint es doch genau dasselbe. Ich wundere mich immer wieder, woher es bloss kommt, dass Allerweltsweisheiten, wenn sie in einem anderen Umfeld und in einer anderen Sprache geäussert werden, uns dermassen einleuchten.

"Es ist mehr eine Frage des richtigen Zeitpunkts", entgegnet Thomas. "Hättest Du mir dieses 'Übung macht den Meister' oder 'Ohne Fleiss kein Preis' vor einigen Jahren gesagt, hätte ich überhaupt nicht darauf reagiert. Heute hingegen spielt es für mich keine Rolle mehr, ob so ein Spruch auf Deutsch oder Englisch daherkommt."

"Ich bin mir da nicht so sicher und denke, dass es damit zu tun hat, dass ich zu meiner eigenen Kultur, vielleicht sollte ich besser sagen: zu der Kultur, in der ich aufgewachsen bin, einfach kein normales bzw. entspanntes Verhältnis habe. Weil sie mir aufgedrückt wurde und ich mich nie frei dafür entschieden habe. Jedenfalls ist mir 'practice' gefühlsmässig weit weniger belastet."

"Wie auch immer, ich für meinen Teil kann heute genau so gut mit 'Ohne Fleiss kein Preis' leben."

"Das wird möglichweise auch damit zu tun haben, dass Du in Santa Fe lebst. Ich habe mit diesen Sprüchen auch immer weniger Mühe gehabt, wenn ich mich nicht in der Schweiz aufgehalten habe. Erinnerst Du Dich an die Bernerin in der Bibliothek von Santa Fe, die Kindergärtnerin, die wie ein Punk ausgesehen hat? Und gesagt hat, sie könne in der Schweiz nicht atmen. Das ist mir ,als ich letzthin in Bern war, wieder durch den Kopf. Für mich ist Bern ja das Schlimmste überhaupt, von diesen Lauben fühle ich mich regelrecht zusammengedrückt. Geradezu ideal für ein Land, in dem der Müssens-Imperativ alles erstickt. Ich kann da auch nicht atmen."

"Das finde ich an Amerika so gut. Die Weite. Die Bürokratie andererseits, ein Horror! Damit verglichen ist die Schweiz geradezu ein Paradies."

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