Wednesday, 1 June 2022

Robinson Crusoe

Daniel Defoes Robinson Crusoe gehört zu den Büchern, deren Geschichte man in seiner Jugend gehört hat (klar doch, ich rede von mir), und woran man sich vage erinnert (der Held strandet auf einer Insel, wo er zusammen mit einem Eingeborenen namens Freitag, sich zum Überlebenskünstler mausert --- oder so ähnlich). Als ich jetzt im Alter zu diesem Werk greife bin ich immer mal wieder überrascht ob der differenzierten Schilderung dieses zweifelnden und getriebenen Robinson, der sich seinem Schicksal, das er immer mal wieder ganz unterschiedlich interpretiert, ausgeliefert fühlt und damit nicht wenig hadert.

Seine Eltern wollen ihn zu einem Juristen machen, er selber will zur See, fühlt sich dazu getrieben. Während heftiger Stürme besinnt er sich anders, will er zurück nach Hause, doch kaum hat sich die See beruhigt, wollen seine Gefühle nichts mehr davon wissen. Dass die Vernunft uns leitet ist ein Mythos, Robinson ist dies bewusst.

Als während eines heftigen Sturms das Schiff zu Bruch geht, ist er der einzige Überlebende, den es auf eine unbewohnte Insel verschlagen hat. "Nachdem sich mein Herz so an meiner Rettung geweidet hatte, begann ich mich umzuschauen, an was für einem Ort ich eigentlich wäre und was zunächst zu tun sei. Da entfiel mir der Mut bald wieder, und ich fand, dass dies in Wahrheit eine Rettung furchtbarer Art war; denn ich war durchnässt, hatte keine andern Kleider, noch irgendetwas zu essen und zu trinken zu meiner Labsal und sah kein anderes Schicksal vor mir, als Hungers zu sterben oder von wilden Tieren zerrissen zu werden." Soviel zum Traum vom Leben auf einer einsamen Insel.

Diese düsteren Aussichten lassen ihn zur Überzeugung kommen, Gott habe ihm dieses Schicksal bestimmt. Als er die vom Schiff gerettete Bibel aufschlägt, waren dies die ersten Worte, auf die seine Augen fielen: "Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen." Und genau das tut er dann auch.

Als er sich eingerichtet hat, beginnt er die Insel zu erkunden und muss feststellen, dass es wesentlich bessere Plätze gegeben hätte, um sich niederzulassen, als den Ort, an dem er sich zu bleiben entschlossen hat  doch umziehen will er nicht. So ist der Mensch: Hat er sich einmal entschieden, ist er nur mehr schwer davon abzubringen

Robinson Crusoe ist so recht eigentlich ein philosophisches Buch, jedenfalls lese ich es so, das sich mit der Art Fragen auseinandersetzt, denen der Mensch, sofern er denn nicht dazu gezwungen ist, tunlichst aus dem Weg geht. Doch auf einer Insel ist das schwierig, kann man nicht ausweichen: Was mache ich jetzt eigentlich mit dem Leben, in das ich ungefragt hineingeworfen worden bin? Und da die möglichen Antworten darauf ausgesprochen verwirrend sein können, verlegt er sich auf Praktisches: Wie schütze ich mich? Wie ernähre ich mich?

Doch immer wieder holen ihn die Schicksalfragen ein. "Jetzt begann ich, die Worte "Rufe mich an, so will ich dich erretten" in einem anderen Sinne zu begreifen, als ich vorher getan. Damals dachte ich bei  Errettung immer nur an meine Erlösung aus der Gefangenschaft; denn obgleich ich Raum genug hatte, war die Insel ein Gefängnis für mich, und zwar im schlimmsten Sinne der Welt. Aber jetzt lernte ich, es in anderem Sinne zu nehmen. Jetzt sah ich auf mein vergangenes Leben in solchem Grauen, meine Sünden erschienen mir so schrecklich, dass meine Seele nichts anderes bei Gott suchte als Erlösung von der Last meiner Schuld, die mich erdrückte." Dass er sich von sich weg und seine Gedanken auf höhere Dinge richtet, hat Erstaunliches zur Folge: "Ich fand einen Trost in mir selber, von dem ich bisher nichts gewusst."

Eines Tages sieht er plötzlich Wilde auf der Insel. Und einige Zeit später Wilde, die in Kanoes gekommen waren, und zwar mit Gefangenen, die sie nun zu verspeisen beabsichtigten. Robinson gelingt es, einen der beiden, Freitag, zu befreien. Wie's weiter geht will ich hier nicht verraten ...

Robinson Crusoe erzählt die Geschichte einer persönlichen Transformation, die Hans Reisiger in seinem Nachwort so charakterisiert: "Die innere Wandlung Robinson Crusoes vom gedanken- und gottlosen Seefahrer zum frommen Haushalter seiner Seele und humanen 'Wildenbekehrer', vom blind lebensgierigen jungen Trotzkopf zum reifen, seiner Verantwortung vor Gott bewussten Mann gibt der Erzählung erst die rechte Kraft."

Robinson Crusoe bedient sich des Abenteuerromans um sich mit den Grundfragen der menschlichen Existenz ("Blosses Stillesitzen und Wünschen konnte nichts helfen. Aber die Not machte mich erfinderisch.") auseinanderzusetzen. Das Leben als Abenteuer zu begreifen gehört zu den wesentlichen Lehren dieses zeitlosen Werkes.

Daniel Defoe
Robinson Crusoe
Penguin Edition, München 2022

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