In Sachen Alkohol ist das ein Ansatz, der meist nur Nicht-Alkoholikern möglich ist. Und beim Internetnutzen? Da wir fast schon dazu gezwungen werden, das Internet zu nutzen, bleibt uns kaum was anderes übrig, als der überlegte Gebrauch. Geert Lovink sagt viele gescheite Sachen, zitiert viele differenziert argumentierende Leute – mir kam es manchmal so vor, als ob man mit dem Verstand zudecken würde, dass wir uns weder ändern wollen noch können. Grundsätzlich meine ich. Ein bisschen geht schon, als Alibi.
Das Leben vor dem Bildschirm laugt uns aus, erschöpft uns. Warum ist das so?, fragt Geert Lovink und führt viele erhellende Meinungen an, aber auch ausgesprochen Banales. „Wie Caroline Cowles Richards sagt: 'Was nicht geheilt werden kann, muss ertragen werden.'“. Da ich nicht wusste, wer Caroline Cowles Richards ist, habe ich sie gegoogelt: Sie lebte von 1842-1913 und war ein Civil War Civilian and Diarist. Autor Lovink zeigt also, wie gebildet er ist. Er tut das übrigens etwas gar oft. „Das Internet ist der Friedhof der Seele. In Anlehnung an einen Satz von Cioran könnte man sagen, dass niemand in den Sozialen Medien das findet, was im Leben verloren gegangen ist.“ Das wissen die meisten wohl auch ohne Cioran.
Die Bezugnahme auf Berühmtheiten wie Fernando Pessoa und Walt Whitman, die lange vor der Internet-Zeit lebten, weist auch darauf hin, dass die grundsätzlichen Phänomene unseres Zeitalters sich nicht von früheren Zeiten unterscheiden, da sie in der conditio humana begründet sind. Dazu gehört das Frankenstein-Phänomen, das sich auch als Internet-Phänomen zeigt: Wir schaffen etwas, das eine Eigendynamik entwickelt und uns entgleitet.
Dass die Digitalisierung unser aller Leben verändert, ist allen klar. Detailliert und anhand vieler Beispiele bringt Geert Lovink die zahlreichen Gedanken einschlägig damit Befasster auf den neuesten Stand. Das ist gut geschrieben, ansprechend dargestellt, auch wenn die Antwort auf die Kernfrage „Und jetzt, was sollen wir tun?“ dieselbe ist, die das kontrollierte Trinken der Abstinenz vorzieht: „Vorsicht vor der Falle der europäischen Offline-Romantik. Lasst uns stattdessen virtuelle Meetings wieder zur Ausnahme machen. Zuerst sollten wir virtuelle Konferenzen zum Gegenstand der Debatte und des globalen Dialogs machen.“ So klingen Pädagogen und Politiker.
Trotzdem: In der Plattformfalle lohnt, weil es die verschiedenen Denkansätze, die sich mit Plattformen und dem Internet auseinandersetzen, sehr schön aufzeigt. Dann aber auch, weil die vielfältigen und zumeist anregenden Erwägungen sich an der Lebenswirklichkeit orientieren. „Hightech kann nicht einfach nur existieren, sondern steht immer kurz vor dem 'Nichtfunktionieren' – der Akku stirbt, die Internetverbindung fällt aus, das Software-as-a-Service-Abonnement fällt aus.“
In der Plattformfalle ist auch ein erfreuliches no-nonsense Buch, das einleuchtend für die Zerschlagung von Monopolplattformen und den Ausschluss von Google, Facebook und anderen Unternehmen aus Internetgovernance-Gremien plädiert. Nur eben: „Dopamingesteuerte, impulsive Nutzer:innen sind dafür bekannt, dass sie die von Habermas aufgestellten Regeln nicht kennen und nicht mit langen Stunden belästigt werden können, die eine Vollversammlung dauert, um einen Konsens zu erreichen.“ Es ist nicht zuletzt diese erfrischend realistisch nüchterne Sicht der Dinge, die dieses Buch auszeichnet.
Geert Lovink
Plädoyer für die Rückeroberung des Internets
transcript Verlag, Bielefeld 2022.
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