Wednesday 23 November 2022

Wandern zwischen den Welten

"Was Vögel in Städten erzählen", so der Untertitel, legt den Schluss nahe, Vögel teilen uns etwas mit, kommunizieren mit uns. Ob das so ist, weiss ich nicht. Kann man das überhaupt wissen? Der Satz steht aber auch für die Tendenz, unsere Wahrnehmung zu vermenschlichen. Ich bin mir nicht so sicher, ob das eine gute Sache ist. Nun ja, wir tun es trotzdem, denn ausser uns selber kennen wir ja so recht eigentlich nichts (und auch uns selber kennen wir nur unzureichend).

Die Biologin Caroline Ring macht sich mit ihrem Freund Mirko Thüring auf eine Vogelexpedition. "In den kommenden Monaten will ich herausfinden, wie Vögel es neben uns Menschen aushalten, obwohl wir doch überall, wo es nur geht, neue Städte errichten oder bestehende erweitern." Mit anderen Worten: Wir zerstören die Lebensgrundlagen der Vögel, schaffen dadurch aber auch wieder neue. Es herrscht das Gesetz des Wandels.

Das meint unter anderem, dass Städte sich nicht zwangsläufig zu naturfeindlichen Räumen entwickeln müssen. Caroline Ring schlägt vor, Parks und Grünanlagen etwas weniger zu pflegen, insektenfreundliche Pflanzen auf Balkone, Gärten und Fensterbretter zu stellen. Und und und. Steht alles im Buch.

Wanderer zwischen den Welten ist ein erfreulich persönliches Buch. So erfährt man etwa, dass die Autorin, im Gegensatz zu den von ihr geschätzten Vögeln, absolut keine Frühaufsteherin ist. Auch gehört sie nicht zu denen, die glauben, weil sie Biologie studiert haben, sich auch bei den Vogelarten auszukennen. "Ich freue mich über die Mauersegler, die im Mai an unserem Haus auftauchen, und bin durchaus in der Lage, Fotos von vermeintlichen Schwalben mit 'Das sind doch Mauersegler!' zu kommentieren." Mit anderen Worten: Sie ist neugierig und wissbegierig – bessere Voraussetzungen gibt es eigentlich nicht, um die Welt zu erkunden.

Besondere Aufmerksamkeit erfuhr bei mir dieser Satz: "Auch könnten geeignete Markierungen an Glasfassaden dafür sorgen, dass Fensterscheiben nicht zu tödlichen Vogelfallen werden." Ich erinnerte mich an einen Vortrag in Südkalifornien vor fünfzehn Jahren, bei dem ich erstaunt zur Kenntnis nahm, dass unzählige Vögel ihren Tod an den beleuchteten Fassaden von Hochhäusern finden.

Wanderer zwischen den Welten ist ein auf vielfältige Art und Weise lehrreiches Buch. So lerne ich etwa, dass Gänse mit ganz wenig auskommen   eine Wasserfläche und genügend Gras zum Fressen genügt. Und dass sich Spechte von allen anderen Vögeln dadurch unterscheiden, dass sie anstatt "sich ein Nest aus Zweigen, Halmen und Flusen zu bauen, in Höhlen zu ziehen oder ihre Eier einfach auf den Boden zu legen", sie mit ihrem Schnabel ein Loch ins Holz hinein hämmern, bis der Nachwuchs darin Platz findet.

Sich auf etwas zu fokussieren, erweitert den Horizont. Indem sich Caroline Ring sowohl auf dem Land wie auch in der Stadt auf die Spuren der Vögel macht, entdeckt sie Vogelbezüge auch bei den Dichtern. Bei Oscar Wilde "gibt der Vogel sein Leben, damit sich die Liebeshoffnung eines jungen Mannes erfüllen kann." Und in Clemens Brentanos Gedicht 'Der Spinnerin Nachtlied' "erinnert sich eine Frau beim Gesang des Vogels an eine innige Liebe, die ihr vor langer Zeit genommen wurde."

Wanderer zwischen den Welten eröffnet mir ganz neue Welten. So erfahre ich etwa, dass die Berliner Nachtigallen ihren Winter in Ghana verbringen, wo die Einheimischen sie nicht mit dem Bewahren heimlicher Liebe, sondern mit dem Fremdgehen assoziieren. Wenn sie im April wieder nach Berlin zurückfliegen, suchen sie dort nicht nur ihr ehemaliges Revier wieder auf, sondern oft sogar denselben Ast auf demselben Baum!

Eine ausführliche Auswahlbiografie sowie eine Aufzählung von Internetquellen runden dieses nützliche Buch ab.

Caroline Ring
Wanderer zwischen den Welten
Was Vögel in Städten erzählen
Berlin Verlag 2022

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