Wednesday 4 October 2023

Das Buch der Abenteuer

Der erste Eindruck: Sehr schön gestaltet, im Schuber, was ich generell edel finde. Ein richtiges Buch also, ein Schmuckstück, weit mehr als nur ein simpler Gebrauchsgegenstand, und mit einem erhellenden Nachwort von Alexander Pechmann versehen, der die Autorin so charakterisiert: "Eine Frau, die sich nicht damit begnügte, eine von der Gesellschaft diktierte Rolle anzunehmen, sondern ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen gestaltete und eine Literatur schrieb, die sich an ihren persönlichen Idealen orientierte."

Elinor Mordaunt ist das Pseudonym der 1872 in Cotgrave, Nottinghamshire geborenen und 1942 in Oxford verstorbenen Evelyn May Clowes, die bereits nach wenigen Zeilen meine Sympathie hat, weil sie da unter anderem die Notwendigkeit preist, arbeiten zu müssen, um zu leben. Ein Lob des Müssens, so selten wie hellsichtig!

Eine unruhige, neugierige, aufmerksame und gescheite Frau ist diese Elinor Mordaunt, die sich zuhause, umringt von ihren Büchern, glücklich und zufrieden fühlt, auch wenn es sie ständig nach dem Neuen und Unbekannten drängt, über das sie unter anderem sagt: "Unterwegs ist man nie wirklich glücklich, es ist die Erinnerung, die glücklich macht."

Das Buch der Abenteuer ist ein höchst unterhaltsames Buch, bei dem allerdings eine meiner Grundüberzeugungen – dass es universelle Werte gebe  stark ins Wanken kommt. "Auf den Kiriwina-Inseln – wo ich einige glückliche und unvergessliche Wochen als Königin herrschte – hielt man es irgendwie für unanständig, seine toten Verwandten von Würmern auffressen zu lassen, wo man doch diesen letzten Dienst ebenso gut selber leisten könnte, und noch dazu mit Gewinn; auf den Fidschis hingegen hielt man es sogar in den wildesten Zeiten des Kannibalismus für überaus unsittlich, seine Verwandten aufzutischen, selbst die angeheirateten."

Andere Länder, andere Sitten, heisst es bekanntlich. In Marseille, "ein Zauberort, ein Schmelztiegel des Fremdartigen, des Schönen und der Schurkerei. Das Tor zum Orient; der Orient selbst, nicht in grellen Ölfarben gemalt, sondern in unendlich sanften Pastelltönen, die andeuten und locken, lächeln, anzüglich grinsen, drohen, verzaubern", versuchte sie ein Frachtschiff zu erreichen, was jedoch gar nicht so einfach war, auch weil alle, die sie fragte, behaupteten, sie wüssten ganz genau, wo dieses Schiff auslief, obwohl sie keine Ahnung hatten.

Dass man in der Fremde Erfahrungen macht, die man zuhause, obwohl sie auch dort möglich wären, selten einmal macht, erlebte sie ebenfalls in Marseille, wo sie einen Friseur aufsuchte, der ihr mit einem Duftwasser auf der Spitze seines Zeigefingers über ihre Wimpern strich, so dass sich diese nach oben bogen. "Da bin ich nun eine Frau mittleren Alters und habe mir noch nie die Wimpern formen lassen; ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass man meine Wimpern formen kann. Allzu viele Dinge werden einem erst viel zu spät im Leben bewusst."

Reisen bedeutet ja nicht zuletzt, Vergleiche mit dem Vertrauten und Gewohnten anzustellen. An Bord des Frachtschiffs auf dem Weg nach Guadeloupe stellte sie fest: "Es wird unaufhörlich geredet, gelacht und laut disputiert, niemand scheint zu murren, und ich glaube, dass andere Nationen ihrer schlechten Laune, die bei uns zur Verbitterung führt, Luft machen, indem sie laut schreien und wild gestikulieren, ohne dass etwas passiert."

Wer Panama besucht, wird auch den Kanal aufsuchen, deren eine Seite damals zur Republik Panama gehörte und 'nass' war, und deren andere Seite zur United States Canal Zone gehörte und 'trocken' war. Wie Elinor Mordaunt die beiden Seiten beschreibt, sagt einem mehr über die Amis bzw. die Panameños als viele noch so gescheite Bücher. Das liegt daran, dass sie es versteht, die Wirklichkeit gleichsam sinnlich erfahrbar zu machen

Elinor Mordaunt führt ihre Reise über die Karibik und Französisch-Polynesien nach Samoa, Tonga, Fidschi und schliesslich hach Sydney. Dabei lehrt sie einen das Staunen. So notiert sie über das Grün Tahitis: "Ich bin nun alt genug, um gelernt zu haben, nicht viel zu erwarten, und daher hätte ich niemals etwas erwarten können, das jegliche Erwartung im strahlenden Glanz der späten Nachmittagssonne übertrifft." Den Regen in Navua charakterisiert sie so: "Es regnete die ganze Nacht, als wäre direkt über uns einem Wassertank der Boden weggebrochen ...".

Es ist Elinor Mordaunts Lebensneugier, die dieses Buch auszeichnet. Und ihr Abenteuergeist, von dem sie schreibt: "Er hat nichts mit der Seele zu tun, die zur Religion gehört; obwohl es sich auch um eine Religion handelt, nämlich die derjenigen, die unablässig nach den schönsten und stärksten Erlebnissen suchen." Und natürlich ihr englischer Humor – es liegt lange zurück, dass mich ein Buch so zum Lachen gebracht hat.

Fazit: Vergnüglich und instruktiv.

Elinor Mordaunt
Das Buch der Abenteuer
mareverlag, Hamburg 2023

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