Sunday, 21 September 2025

YELLOWFACE

Athena Liu hat alles: Erfolg und Aufmerksamkeit. Nicht nur, weil sie gut schreibt, sondern weil sie cool ist. Ihre Freundin June Hayward, selber Autorin, neidet ihr ihren Erfolg. Nichtdestotrotz verstehen sich die beiden. Athena zeigt June ihr neues Manuskript, June ist begeistert, tut jedoch so, als ob sie viel zu viel getrunken habe, um den Text beurteilen zu können. Kurz darauf stirbt Athena bei einem Unfall. June nimmt den Text an sich, überarbeitet ihn und gibt ihn als ihren eigenen aus.

Die Überlegungen, die sich June zu diesem Diebstahl und den nachfolgenden Lügen macht, sind so plausibel, wie das Rationalisierungen oft sind. Ihr Agent findet einen Verlag für sie. Dabei lernt man einiges über das moderne Verlagsgeschäft, in dem es von politischer Korrektheit und Missgunst nur so wimmelt. Das geht von kultureller Aneignung über Mikroaggressionen zu Sensitivity Readern.

Ihr Verlag glaubt an sie und fördert sie, doch eine Mitarbeiterin ist ihr feindlich gesinnt. Ihr Buch wird ein Erfolg; bei einer vollbesetzten Lesung trifft sie dann fast der Schlag, als sie glaubt, eine ihr bestens bekannte Person (wer, soll hier nicht verraten werden) im Publikum zu entdecken. Überraschend und clever ist dieser Roman..

Die Verwandlung von June Hayward zu Juniper Song, von einer privaten zu einer öffentlichen Person, wird überaus eindrücklich geschildert. Wer schon einmal eine sogenannte Fernsehpersönlichkeit privat erlebt hat, weiss, dass die von den Medien vermittelte Welt künstlicher und lebensfremder nicht sein könnte. Auch das lehrt einen dieser gut geschriebene Roman.

Das Buch, das June bzw. Athena verfasst hat, handelt vom Chinesischen Arbeitskorps im Ersten Weltkrieg. Natürlich (so sind die Zeiten) wird sie angefeindet, weil sie als Nicht-Chinesin angeblich kein Recht habe, eine solche Geschichte zu schreiben. Ganz so, als ob Chinesen andere Quellen zu Rate ziehen würden als Weisse. Als sie dann jedoch bei einer Lesung auf einen Mann trifft, dessen Onkel Teil dieses chinesischen Arbeitskorps gewesen ist, überkommen sie auf einmal Gefühle von Trauer und Unzulänglichkeit.

Eine Produktionsfirma aus Hollywood interessiert sich für eine Verfilmung, als plötzlich Angriffe auf Twitter erscheinen, die June des Plagiats an Athena bezichtigen. Ein Shitstorm entlädt sich. Wie die Autorin diesen schildert, macht wieder einmal deutlich, dass, was einmal im Internet landet, Gefahr läuft, sich unkontrolliert zu verselbständigen.

Wie geht man damit um, wenn man im Internet zum Hassobjekt wird? Das wird packend geschildert und nachvollziehbar gemacht. YELLOWFACE führt vor, wie abhängig wir von der digitalen Welt geworden sind und wie die gutgemeinten Ratschläge, wie man sich davon lossagen könnte, letztlich ins Leere laufen, weil die Abhängigkeiten in uns begründet sind und wir uns nun einmal nicht ändern wollen.

YELLOWFACE zeigt anhand der Verlagsbranche wie ausschliesslich Meinungs-bezogen die moderne Welt funktioniert. Kaum jemand informiert sich über die Fakten. "Der Grossteil der (an einem Shitstorm) beteiligten Account schert sich ganz offensichtlich nicht um die Wahrheit. Sie sind hier, weil sie Unterhaltung suchen. Diese Leute lieben es, ein Angriffsziel zu haben und sie würden alles auseinandernehmen, was man ihnen vorsetzt."

Das Internet bzw. die sozialen Medien, einst mit dem Versprechen angetreten, uns freier und unabhängiger zu machen, haben grösstenteils zum Gegenteil geführt: Kaum jemand traut sich noch zu sagen, was er oder sie wirklich denkt. 

YELLOWFACE, dieses packende, differenzierte und überaus treffendes Porträt der Verlagsbranche, ist gleichzeitig ein spannender Thriller wie auch ein überzeugendes Dokument des Zeitgeistes.

Fazit: Eine glänzend geschriebene, clevere, praktisch-philosophische Auseinandersetzung mit des Menschen grösstem Talent: Der Fähigkeit, sich selbst zu belügen.

Rebecca F. Kuang
YELLOWFACE
Eichborn, Köln 2025

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