Wednesday 14 August 2019

Alexandra David-Néel

Diesen Reisetagebüchern in Briefen von 1911-1977 ist ein wunderbar instruktives Vorwort des Herausgebers Detlef Brennecke beigegeben, worin unter anderem zu lesen ist, die am 28. Oktober 1868 in Saint-Mandé südlich von Paris geborene Louise Eugénie Alexandrine Marie David sei eine spirituelle Forschungsreisende, die schon in jungen Jahren einfach nur weg, in die Welt hinaus wollte. "Bei den Autoren der klassischen Antike hatte sie gelernt, dass ihr Freiheitsstreben gerechtfertigt war. Und lehrte nicht auch der Buddhismus: 'Sei dir dein eigenes Licht?'"

"In der Lehre Buddhas wird der Egoismus Pflicht", zitiert Brennecke Friedrich Nietzsche. Das ermuntert auch zum eigenständigen Denken, das Alexandra David-Néel in hohem Masse eigen war. "Haben wir denn jemals eigene Ideen, die nicht von irgendwem übernommen wären? Wie unser Fleisch und Blut sowohl von unseren Eltern stammt, die unsere Erzeuger sind, als auch von der Nahrung, die wir zu uns genommen haben, so ist auch unser Denken etwas, was wir übernehmen (...) Dieser Mechanismus ist jedoch ein klein wenig komplizierter, als es sich ein einfacher Leichensezierer vorzustellen vermag. Es gibt da noch etwas, was er in der sich zersetzenden Materie nicht entdecken kann: das Leben, den Geist, um einen alten Begriff zu gebrauchen ... und mit dem Geist ist es wie mit dem Wind, 'man weiss weder, woher er kommt, noch, wohin er geht.'"

Aus Gründen, über die ich bestenfalls mutmassen kann, geht mir bei der Lektüre dieser Briefe ständig Robyn Davidson, die als junge Frau mit Kamelen die australische Wüste durchquert hatte, durch den Kopf. Neben dem Eigensinn ist es auch der Humor, der beiden Frauen gemein ist. "Einen Augenblick später taucht an meiner Zimmertür ein Tropenhelm auf, darunter ein grosser, ziemlich verwirrter Engländer."

Neugierig und unbekümmert ist Alexandra  David-Néel unterwegs. Ich fühlte mich an meine Anfangszeit in Thailand (vor dreissig Jahren) erinnert, als mir selbst das Alltäglichste wie eine Offenbarung erschien. Mit den unterschiedlichsten Leuten kommt sie ins Gespräch, was den damaligen Gepflogenheiten nicht gerade entsprach. So auch, auf einer Zugfahrt, mit  einem Yogisasketen. "Er setzte sich, in der Stellung meines Buddha im Wohnzimmer, auf die Bank, und wir unterhielten uns. Er zeigte mir, wie er es anstellte, seine Adern augenblicklich anschwellen und sie ebenso rasch wieder abschwellen zu lassen. Er war nicht dumm, aber ungemein schwatzhaft."

Mir ist diese Frau ungemein sympathisch, auch natürlich, weil ich nicht wenige ihrer Vorlieben teile. So urteilte sie über einen Gesprächspartner, er sei ein Mann von ganz seltener Intelligenz und gehöre zu jenem aussergewöhnlichen Menschenschlag, dem ihre besondere Sympathie gelte: "den vernünftigen Mystikern". Es versteht sich: das beschreibt auch sie selber treffend.

Sie ist sehr privilegiert (und auch deswegen gelegentlich etwas überheblich), ihr Mann, mit dem sie selten zusammen ist und eher platonisch verbunden scheint, finanziert ihre Reisen. Zwanzig Monate verbringt sie in einer von ihr selbst und einigen Helfern errichteten Hütte im Himalaya, wo sie viele ihrer Reisebriefe verfasst

Ihr common sense, gepaart mit Unverblümtheit, ist erfrischend. Die Frau traut sich, sich selber zu sein. Was für eine Wohltat, denn sie ist eine Aufklärerin, interessiert, kultiviert und umgänglich. Und witzig, nüchtern und selbstbewusst. "Die Dummheit ist die grosse Gottheit auf dieser Welt. Buddha und andere haben das schon vor Jahrhunderten gesagt. Man kann diesem Menschheitsschauspiel nicht zuschauen, ohne – je nach Temperament – von Zorn, Verachtung, Überdruss oder grenzenlosem Mitleid gepackt zu werden."

Ein wunderbar anregendes Buch!

Alexandra David-Néel
Wanderin mit dem Wind
Reisetagebücher in Briefen 1911-1917
Herausgegeben von Detlef Brennecke
Edition Erdmann
Verlagshaus Römerweg, Wiesbaden 2019

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