Wüsten habe mich schon immer magisch angezogen, das Bedürfnis, sie zu durchqueren hatte ich hingegen nie. Doch ich habe mich mehrere Monate in Wüstengebieten aufgehalten, im argentinischen Mendoza und im südkalifornischen Twenty-Nine Palms; in letzterem wurde mir dann auch bewusst, dass meine Vorstellung von Weite, Leere und Stille ergänzt werden musste, denn die Wüste vor meiner Haustür war sehr belebt – Hasen, Schlangen und Coyoten zuhauf, vom Grünzeug und Gestrüpp, das da wuchs, gar nicht zu reden.
Die Wüste, die Reinhold Messner durchquerte, "ist mehr oder weniger eine einzige Mondlandschaft. Trotzdem leben 100 000 und mehr Familien in den Steppenzonen am Rande der reinen Steinscherbenwüsten, die wie Todeszonen zwischen den Wasserläufen liegen. Dazu Gazellen, Argali- und Marco-Polo-Schafe, Wölfe, Bären, Wildpferde und Wildesel sowie Rentiere, seit Kurzem sogar wieder Wildkamele."
Messner ist 60, als er sich auf die 2000 Kilometer lange Wanderung durch die Westgobi und das Altai-Gebirge aufmacht. Was er dabei erlebt hat, schildert er in seinem höchst anregenden Gobi, das den wenig glücklichen Untertitel trägt: 'Die Wüste in mir'. Eher suboptimal ist auch das Umschlagbild, das die Frage aufwirft, was der angestrengte Gesichtsausdruck, für den sich der Autor hier entschieden hat, den Lesern bloss zeigen soll. Lebensfreude jedenfalls nicht.
Zum Positiven: Hier ist ein Denker unterwegs, der sich mit den Grundfragen der menschlichen Existenz auseinandersetzt. "Worum es mir geht, ist die Frage nach der Natur des Menschen und meine Vorstellung von mir selber." Dabei hat er beobachtet und akzeptiert: "Zum Wesen meiner Existenz gehört es offensichtlich, immer wieder einer Obsession zu folgen und diese von Mal zu Mal zur Profession zu machen, im Fels, im Eis, im Sand."
Doch weshalb immer wieder etwas Neues? "Es geht mir auch um den Ausbruch aus den Normen, darum, immer wieder neue Erfahrungen zu machen und dem eigenen Leben selbst eine Form zu geben." Daraus, so seine Erfahrung, resultiert Lebenslust.
Zweifel, ob ein 60-Jähriger, Ehemann und Vater von vier Kindern, eine solche Wüstenwanderung machen soll? Sowieso, und nicht zuwenig. Hin und Her gerissen zwischen Bleiben-Wollen und Fortgehen-Müssen, dreht er gelegentlich fast durch. Er hadert mit den eigenen Unzulänglichkeiten, doch er stellt sich ihnen auch und tut schlussendlich, was er glaubt, tun zu müssen.
In Ulan-Bator besteigt er den Zug, nach 600 Kilometern Fahrt erreicht er Buyant-Uhaa. "Die Leute hier sind nicht neugierig oder hilfsbereit oder nachsichtig mit einem Fremden. Sie mustern mich beiläufig und gehen ihres Weges. Als gehörte ich nicht zu ihrer Wirklichkeit."
Gobi ist auch ein sehr instruktives Buch. "Die Wüste besteht aus erodiertem Gestein. Gebirge, die in Jahrmillionen zu Steinscherben und Sand zerbröselt sind. In ihrer stofflichen Substanz ist die Wüste zerfallendes Gebirge ... Es gibt keinerlei Ablenkung dort, weit und breit bietet sich immer dasselbe Bild ... Eine Ahnung von Unendlichkeit und Ewigkeit trifft hier auf unsere eigene Begrenztheit und Verletzlichkeit."
Zu Fuss in der Wüste unterwegs zu sein, erfährt Messner als ein emotionales Rauf und Runter. Schmerzen, Angst und Müdigkeit wechseln sich ab mit Beschwingtheit und Zuversicht. Er trifft auf Nomaden, die ihn bewirten. "Ohne ihre Gastfreundschaft würde ich nicht weit kommen." Oft wandern seine Gedanken auch zurück in die Vergangenheit, in die Enge des Villnösstals, wo Messner herstammt, "ist nicht enger als die Möglichkeiten aller anderen Menschen, denke ich ...", zur Wohnküche seiner Eltern, wo seine Mutter acht Söhne und eine Tochter grossgezogen hat, und zu seiner Frau und seinen Kindern.
Übrigens: Messners Mutter respektierte sein Getriebensein, obwohl sie es mit Sorgen und Ängsten betrachtet, als Lebensgesetz, der Vater kritisierte es als Sucht: "Ich möchte wissen, ob das Bergsteigen irgendwem helfen kann, sein Leben zu meistern." Hat es, hat es; jedenfalls seinem Sohn seins.
Gobi ist weit mehr als der Bericht einer Wüstendurchquerung, es ist ein eindrückliches Dokument der Auseinandersetzung mit den Grundfragen des Lebens. Heute weiss Reinhold Messner "dass es nirgends auf der Welt anders und besser ist."
Reinhold Messner
Gobi
Die Wüste in mir
DuMont Reiseverlag, Ostfildern 2018
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