Wednesday, 8 September 2021

Gelobtes Haus

Jonathan Garfinkel, ein kanadischer Schriftsteller, entstammt einer jüdischen Familie, spricht Hebräisch und besuchte von seinem fünften bis zu seinem dreizehnten Lebensjahr die zionistische Bialik-Ganztagesschule in Toronto. "Ich bin auf der Suche nach einem Grund zu glauben." Am liebsten wäre ihm eine Offenbarung, obwohl er nicht weiss, was er daraus machen würde.

Eines Tages erhält er ein Angebot von einem israelischen Theaterregisseur, der ihm ein Aufenthaltsstipendium an einem Theater in Tel Aviv verspricht, falls er ihm ein brauchbares Exposé schicke. Doch will er überhaupt nach Israel?

Rana, eine in Israel geborene und seit einem Jahr in Kanada lebende Palästinenserin, erzählt ihm eine andere Israel-Geschichte als die, welche er aus der Schule kennt. Er glaubt nicht, dass sie im Recht ist. "Aber während ich ihr zuhöre, verstehe ich, was ich bisher ausgeblendet habe: Das Land war besiedelt. Die Menschen dort waren keine Statistik, keine Zahl in einem Schulbuch. In der Bialik hatte man uns kein Wort von ihnen erzählt. Soweit ich mich erinnern kann, lehrte man uns, das Land sei vor der Ankunft der Juden unbewohnt gewesen."

In Israel werde sie zu wütend, sagt Rana, es sei ihr dort nicht möglich gewesen, die Ruhe zu bewahren. Sie heiratet einen kanadischen Muslim und so landete sie in Toronto. "Nimmst du mich einmal mit in die Synagoge?", fragt sie Jonathan. Dass der immer freundliche und grosszügige Vorsteher der Synagoge, als er Rana vorgestellt wird, sich plötzlich in einem ganz anderen Licht zeigt, gehört für mich zu den aufschlussreichsten Szenen dieses Buches.

In Jerusalem lebte Rana in einem Haus, in dem ein Jude und ein Araber friedlich zusammenlebten. Das will Jonathan sehen und erleben. "Mit Entscheidungen verhält es sich so, dass man nicht zu lange über sie nachdenken darf. Andernfalls ergeben sie keinen Sinn mehr."

Er will ins Westjordanland, man rät ihm ab. "Man kann für oder gegen die Besatzung sein. Aber ein Jude muss schon verrückt sein, dahin zu wollen. Deine Ansichten sind denen scheissegal." Er will trotzdem hin; Samer, ein palästinensischer Kameramann, macht es möglich. Vor Ort entdeckt Jonathan dann das normale Leben – Leute sitzen herum, lesen Zeitung, plaudern oder trinken Kaffee – , das in den Medien nicht vorkommt. Doch dann sprengen sich zwei Selbstmordattentäter in die Luft und reissen zehn Menschen in den Tod.

Zurück in Jerusalem macht er sich auf die Suche nach dem Haus, von dem ihm Rana erzählt hatte. Was er vorfindet, hat allerdings nichts mit dem friedlichen Zusammenleben von Juden und Arabern zu tun, das er sich vorgestellt hatte. Die Leute vor Ort halten ihn für naiv und weltfremd, der Glaube an einen Frieden ist ihnen fremd. Will überhaupt jemand Frieden? Nicht alle, doch einige schon, und sie tun auch etwas dafür ...

Jonathan sucht seine Studienfreundin Ruthie auf, die inzwischen religiös geworden ist und ihm sagt, er habe keine Ahnung von Leben in Israel. Er hört diesen Satz immer mal wieder und er geht ihm auf die Nerven. Weil er stimmt, doch eben auch fälschlicherweise impliziert, die Tatsache, im Land zu leben, mache jemanden zur einer Autorität in Sachen Israel.

Gelobtes Haus demonstriert eindrücklich, dass einfache Wahrheiten nicht zu haben sind. Jonathan Garfinkel beschreibt ein chaotisches, aggressives und extrem herausforderndes Land. Sich auf  sein Buch einzulassen, bedeutet den Versuch, sich der Realität zu stellen – das Beste, das wir tun können, um nicht durchzudrehen. 

Gelobtes Haus ist ein hoch differenziertes, wesentliches, überaus berührendes und nützliches Werk.

PS: Es ist kaum zu vermeiden, dass ein solch subjektiver Bericht nicht von allen, die darin vorkommen, positiv aufgenommen wird. Im letzten Kapitel mit dem Titel 'Nachspiel' geht Jonathan Garfinkel darauf ein  fairer geht kaum. 

PS1: Ein Hinweis ans Lektorat: Die im 'Nachspiel' erwähnte Stadt Wilna liegt nicht in Lettland, sondern in Litauen.

Jonathan Garfinkel
Gelobtes Haus
Meine Reise nach Jerusalem
mandelbaum verlag, Wien 2021

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