Es liegt 22 Jahre zurück, dass ich dieses Werk, damals auf Englisch, gelesen habe. Die französische Originalausgabe erschien 1962. Es gehört zu den wenigen Büchern, von denen ich weiss, dass sie mein Welt- und Medienverständnis geprägt haben. Auch meine neuerliche Lektüre zeigt, dass sich nichts Wesentliches unter der Sonne wirklich ändert. Propaganda ist und wird ein wichtiges Buch bleiben, weil es Grundsätzliches beschreibt und analysiert. Und weil es sich von den einschlägigen Büchern zum Thema unterscheidet, da Jacques Ellul sich auf selten behandelte Aspekte von Propaganda konzentriert sowie nicht moralisiert, sondern sich nach Tatsachen richtet.
Propaganda hat einen schlechten Ruf, man hält sie für etwas "Schlechtes, Böses, so die geläufige Vorstellung, was letztlich die Untersuchung vor Probleme stellt, denn um das Phänomen korrekt zu analysieren, muss man sich jeden moralischen Urteils enthalten." Dazu kommt, dass man Propaganda fast automatisch mit der Verbreitung von Falschmeldungen, mit Lügen also, in Verbindung bringt. "Uns hingegen geht es um die Feststellung, was Propaganda eigentlich ist, überall, wo sie zur Anwendung kommt, überall, wo sie durch die Sorge um ihre Wirksamkeit beherrscht wird."
Propaganda ist ein in vielerlei Hinsicht aussergewöhnliches Werk, Kapitel-Überschriften wie 'Die Notwendigkeit von Propaganda für die Macht' und 'Die Notwendigkeit von Propaganda für das Individuum' weisen darauf hin. "Natürlich sagt der Mensch nicht: 'Ich will Propaganda!' Weil er sich, indem er vorgegebenen Mustern gehorcht, für einen 'freien und erwachsenen Menschen' hält, verabscheut er sie hingegen zutiefst. Doch eigentlich verlangt und wünscht er diese Handlung, durch die er bestimmte Aggressionen abzuwehren und bestimmte Spannungen abzubauen imstande sein wird."
Auch wenn ich mit dieser Begründung (Aggressionen abwehren, Spannungen abbauen) so meine Schwierigkeiten habe (ich halte sie für Spekulation), gehe ich mit Elluls Prämisse einig: Ohne das unbewusste Gieren nach Propaganda, könnte sie kaum wirksam sein. Doch ist sie überhaupt wirksam? Schwer zu sagen, denn wie will man das messen? Andererseits: Der Glaube, dass Propaganda wirkt, zeigt sich in den Investitionen von grossen Unternehmen, die nicht als realitätsfremd gelten. Zudem glauben so ziemlich alle, die Propaganda ausgesetzt waren, dass sie wirkt. Wie heisst es doch in der Bhagavad Gita: "Man is made by his belief, as he believes so he is."
Der moderne Massenmensch ist einsam und auf Passivität gedrillt. "Immer weniger sieht sich das Individuum imstande, anders zu handeln als dem kollektiven Signal gemäss, das seine Handlung dem allgemeinen Mechanismus vorschreibt." Nur eben: Das Individuum erträgt es nicht, einfach eine Nummer zu sein. Den Ausweg, so Ellul, bietet die Propaganda, die an die Entscheidung des Einzelnen und an sein Handeln appelliert. "'Alles ist vom Bösen umstellt. Doch es gibt einen Ausweg. es muss nur jeder mitmachen. DU musst ein Teil davon sein. Kommst du nicht, wird alles scheitern, und du wirst schuld sein.' Genau dieses Gefühl hat Propaganda zu verbreiten."
Aus dem bereits Zitierten ergibt sich, dass Ellul nicht zwischen Propaganda, PR und Werbung unterscheidet, denn diesen ist gemein die Beeinflussung von Meinungen, Auffassungen und Einstellungen. Damit diese Beeinflussung auf fruchtbaren Boden fallen kann, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Sowohl das Bedürfnis nach Orientierung wie auch nach Selbstbestätigung und Zugehörigkeit gehören dazu.
Zwischen Information und Propaganda besteht eine enge Beziehung. Eine Folge davon ist, dass Intellektuelle besonders anfällig für propagandistische Beeinflussungen sind, denn sie konsumieren ganz viele Informationen, die sie nicht verifizieren können. Gleichzeitig sind sie jedoch der Meinung, sie seien fähig, zu einem ausgewogenen Urteil zu gelangen. Sie leiden an Selbstüberschätzung.
Leute hingegen, die sich nicht bemüssigt fühlen, auf dem Laufenden zu sein, also zu wissen, was der Mainstream und die Eliten so denken, sind auch für Propaganda wenig empfänglich. "Moderne integrierende Propaganda kann bei Individuen, die am Rande der Gesellschaft leben oder ein zu niedriges Lebensniveau haben, keine Wirkung entfalten."
Propaganda ist ein ungeheuer dichtes Werk. "Es ist schwierig, wenn nicht gar unmöglich, die Realität so zu akzeptieren, wie sie ist ...", doch der Mensch hat ein ausgeprägtes Bedürfnis, seine Handlungen sozial und moralisch zu rechtfertigen. Dabei ist ihm Propaganda sehr willkommen, denn sie legitimiert nicht nur seine Handlungen, sondern wiegt ihn auch in Sicherheit, weil sie Widersprüche beseitigt und ihm einen grossen Teil seiner Ängste nimmt.
Fazit: Grundlegend, wesentlich, überzeugend.
Jacques Ellul
Propaganda
Wie die öffentliche Meinung entsteht und geformt wird
Westend, Frankfurt am Main 2021
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