Wednesday, 1 September 2021

Von der Eitelkeit und vom Zen

Wir müssen uns wahnsinnig dafür einsetzen, dass die Justiz in der Schweiz unabhängig bleibt von politischen Einflüssen und nicht auf populistische Parolen Rücksicht nimmt, sagte die Juristin, die für eine neugegründete, dem kritischen Journalismus verpflichtete Internetzeitschrift schrieb. Sie habe sich letzthin total aufgeregt, als sie aus einem Gerichtssaal gewiesen worden sei, was an einem öffentlichen Prozess natürlich gar nicht gehe. Ihre Zeitschrift werde jetzt auch gerichtlich dagegen vorgehen, denn das Öffentlichkeitsprinzip müsse gewährleistet bleiben, für alle.

Der kritische, nachdenkliche und differenzierte Journalismus unterschied sich in Sachen Motivation kaum von den Populisten. Bei beiden stand das Gefühl zu kurz gekommen oder beleidigt worden zu sein im Vordergrund. Solange die Auseinandersetzung mit der eigenen Eitelkeit fehlt, wird es keine echten Veränderungen geben.

Zen oder was er darunter verstand: Wenn man ass, dann ass man, wenn man ging, dann ging man. Man tat nichts anderes als was man gerade tat. Yona war so. Sie ass ganz langsam, sie las ganz langsam, sie war konzentriert bei dem, was sie tat. Von Zen hatte sie noch nie gehört.

Zen in der Kunst des Fotografierens war der Nachruf auf Henri Cartier-Bresson in der 'NZZ' überschrieben. Seit Harry eine Dokumentation über ihn gesehen hatte, in dem gezeigt wurde, wie er Fotos „abstaubt“, genauer: Leute reinlegt, um zu überraschenden Bildern zu kommen (weiter weg vom Zen konnte man gar nicht sein), hielt er ihn für einen höchst unangenehmen Typen, der ab und zu Kunst hervor gebracht hatte. Kein Wunder, bei den vielen Aufnahmen, die er im Laufe seines Lebens gemacht hatte.

Wer wissen will, wie ein Zen-Meister wirklich tickt, sollte dessen Frau fragen.

Hans Durrer 
Harrys Welt oder Die Sehnsucht nach Sinn
Ansichten und Einsichten
neobooks, München 2019

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