Immer mal wieder bin ich im Laufe der Jahre auf den Namen W.E.B. Du Bois gestolpert, doch das vorliegende Buch, das einerseits Kolumnen aus dem "Pittsburgh Courier", und andererseits mit einem erhellenden Nachwort von Oliver Lubrich, Professor für Komparatistik an der Universität Bern, versehen ist, das ich so recht eigentlich spannender fand als Du Bois' Texte, weil da auch auf die Zeugnisse von anderen internationalen Beobachtern über Deutschland hingewiesen wird. Es sind die verschiedenen Gesichtspunkte, die mich interessant dünken, etwa von Virginia Woolf, Albert Camus, Samuel Beckett oder Alejo Carpentier, der einmal "von einer (fiktionalen) Reise nach Weimar, wo der Geruch von Lederstiefeln die Atmosphäre bestimmt" erzählt. Übrigens: Obwohl Du Bois niemals mit den Nazis paktierte, verfasste er 1953 jedoch eine Eloge auf Stalin.
W.E.B. Du Bois (1868-1963) gehörte zu den Protagonisten der Bürgerrechtsbewegung in den USA. Er studierte im Berlin der Kaiserzeit bei Max Weber und promovierte als erster Afroamerikaner an der Harvard University. Seine Antwort auf die Frage, wie gross diese Ehre für ihn gewesen sei, zeugt von einem grossen Ego: "The honor, I assure you, was Harvard's." Sein Blick auf Deutschland ist ein afroamerikanischer sowie elitärer; er gibt an, in Nazideutschland keine Diskriminierung erfahren zu haben, konstatierte jedoch verblüfft, dass er wiederholt für einen Juden gehalten wurde.
Unter dem Titel "Die deutschen Vorwürfe gegenüber den Juden" zitiert er einen Regierungsangestellten um die vierzig mit diesen Worten: "In der Tiefe seines Nachkriegselends verspürte das deutsche Volk eine bittere Eifersucht und Furcht vor diesem fremden Element, das im eigenen Staat die Macht übernahm. Es brauchte lediglich einen Demagogen, um aus diesem Gefühl Kapital zu schlagen."
Verhält sich ein Volk unerklärlich, so liege das meist daran, dass man den Hintergrund nur unzureichend verstehe, so Du Bois. Der gängige Ansatz also, gemäss dem es für alles identifizierbare Gründe geben muss. "Deutschland hat in seiner jüngeren Geschichte vier Schrecken durchlebt, die kein Volk durchmachen und dabei normal bleiben kann. Das sind: Krieg, Versailler Vertrag, Inflation sowie wirtschaftlicher Zusammenbruch und Revolution." Nun ja, der Mensch braucht keine Gründe, um sich unmenschlich zu verhalten, er ist so. Und dass wir das bzw. uns selber nicht verstehen, ist zwar auch nichts Neues, sollte aber tunlichst akzeptiert werden.
Wie jeder Reisende, so ist auch Du Bois ständig am Vergleichen. In England fallen ihm die guten Manieren auf, die man in Amerika verloren zu haben scheint. Das Rassenproblem in Belgien, das in eine flämische und eine französische Hälfte geteilt ist, kommt ihm abstrus vor. Für die Mehrheit der Amerikaner erfolge ein Europa-Besuch aus Neugier, schreibt er, "das Alte zu entdecken, das Merkwürdige, das Ungewöhnliche; sich davon zu überzeugen, dass es Menschen gibt, die nicht Englisch sprechen, und dass Französisch und Deutsch tatsächlich von einigen seltsamen Leuten benutzt werden, um ihre Gedanken auszudrücken, und nicht als Übung im Schulunterricht." Wunderbar!
Wie für Zeitungskolumnisten üblich, schreibt auch Du Bois über so ziemlich Alles und Jedes. Über die Landwirtschaft, über Rasse und Lebensumstände, den Balkan, "Die Oper und die Schwarzen", den Nationalsozialismus, Ägypten, Kleidung und Lebensmittel, die Olympischen Spiele. Und und und ...
Für mich am aufschlussreichsten waren seine Ausführungen über den Status des Amateurs, der für die Teilnahme an den Olympischen Spielen Voraussetzung ist. "Dies ist nichts als das Echo aus einer Zeit, als nur die Reichen Sport treiben konnten und keiner Arbeit bedurften." Und sein Hinweis auf die Bedeutung der Propaganda. "Die grösste Erfindung des Weltkriegs war die Propaganda. Die systematische Verzerrung der Wahrheit zu dem Zweck, grosse Mengen von Menschen alles glauben zu machen, was die Regierung sie glauben machen will, hat sich zu einer Kunstform entwickelt, wenn nicht zu einer Wissenschaft."
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W.E.B. Du Bois
"Along the color line"
Eine Reise durch Deutschland 1936
C.H. Beck, München 2022
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