Schon lange beschäftigt mich die Frage, wie viel an unserem Denken eigentlich bewusst ist. Beobachtet habe ich, dass ich so recht eigentlich immer auf
Autopilot unterwegs bin. In Kritisches Denken einfach erklärt finde ich diese Beobachtung ausgeführt. "Die vermeintlich bewussten Entscheidungen stehen eventuell am Ende von unbewussten Prozessen, welche bereits das Verhalten bestimmen. Fest steht, dass wir uns selten bewusst entscheiden und selbst dann unbewusste Prozesse eine entscheidende Rolle spielen." Das "eventuell" sei den Autoren nachgesehen, es entspricht den akademischen Gepflogenheiten, ist jedoch für alle, die keine akademischen Rücksichten nehmen müssen, überflüssig.
Wer sich mit dem Denken auseinandersetzt, kommt ums Hirn nicht herum, Dieses funktioniert antizipatorisch und orientiert sich an der Nützlichkeit; eine realistische Abbildung der Welt liefert es hingegen nicht, wie die Autoren an zahlreichen Beispielen aufzeigen. Unsere Wahrnehmung von der Welt ist beschränkt; es wäre schön, wenn dies nicht nur Forschern klar wäre.
Doch auch unser Denken ist beschränkt d.h. vom Unbewussten nicht nur geprägt, sondern geleitet, Gezeigt wird das an kognitiven Heuristiken oder, etwas weniger prätentiös, Faustregeln oder mentalen Abkürzungen, die wir entweder verinnerlicht haben oder die uns mitgegeben worden sind. Dazu gehören etwa Bestätigungsfehler d.h. wir ziehen in der Regel Meinungen vor, die unsere Ansichten bestätigen, oder unsere Gratismentalität.
Diese Abkürzungen haben zwar das Potential, uns in die Irre zu führen, doch das ist nicht immer der Fall. "So unerfreulich es auch sein mag, dass wir oft weniger gründlich nachdenken, als wir glauben, so hilfreich ist es im Alltag. Jedem Verhalten im Alltag könnte eine lange innere Diskussion zugrunde liegen. Soll ich mir nun einen Tee machen? Habe ich Durst? Wie viel Wasser werde ich verbrauchen und wie viel Energie? (...) Wir können nicht alles durchdenken und wenn wir im Alltag nicht ewig lange vor einem Regal stehen wollen, müssen wir von Abkürzungen Gebrauch machen."
Neben den mentalen Abkürzungen kann auch unsere Fähigkeit, allüberall Zusammenhänge auszumachen, uns gelegentlich den Blick verstellen, was auch daran liegt, dass unser Hirn schlecht mit Zufällen umgehen kann, weshalb es denn auch ständig auf der Suche nach Regelmässigkeiten ist, und dabei oft das Bauchgefühl verklärt oder etwa den Sternzeichen eine Bedeutung gegeben werden, die eher mit unseren Hoffnungen und Träumen, als mit der Wirklichkeit zu tun haben.
Dass alles seinen Grund habe, glauben viele, die noch nie viel nachgedacht haben, denn "nur weil etwas nach etwas anderem geschieht, bedeutet es nicht, dass es auch die Ursache dafür ist." So nützlich es ist, nach Ursachen zu suchen, auch wenn man sie nicht immer findet, letztlich ist das Ursache-Wirkung-Denken nichts anderes als unsere gewohnte Art zu denken, die zu meiner Verblüffung auch auf das Unbewusste angewendet wird, über das wir doch (das Unbewusste ist per definitionem unbewusst) gar nichts wissen können
Kritisches Denken einfach erklärt nimmt sich so ziemlich aller gängigen Faktoren an, von denen unser Denken beeinflusst ist. Vom Unterschied von Kausalität und Korrelation zu unserer Tendenz, das zu mögen, was wir kennen, von unserer Autoritätsgläubigkeit zu all dem, was wir nicht wissen (können); von den Halbexperten zu den Fake News, ein Begriff, der, so die Autoren, von Donald Trump vorangetrieben worden sei. Das ist sicher richtig, nur versteht Donald Trump darunter keine Falschnachrichten, sondern alle Nachrichten, die nicht sein Loblied singen.
Kritisch denken zu können ist wesentlich eine Frage des Bewusstseins, es setzt unter anderem voraus, sich klar über des Menschen grösste Schwäche (oder sein grösstes Talent) zu sein: Die Fähigkeit zum Selbstbetrug. Auch das Wissen darüber, dass man es gerne bequem hat, kann helfen, zu erkennen, ob man zum Beispiel von seinen Sehnsüchten oder von einem Algorithmus verführt wird.
Auch ethische Überlegungen sollten beim kritischen Denken mit einbezogen werde, so die Autoren. "Auch in der Ethik gibt es gute und weniger gute Begründungen, und zu erkennen, was eine ethisch betrachtet gute und was keine gute Begründung ist, kann auch als ein Teilaspekt, des kritischen Denkens gesehen werden." Dabei liesse sich auch darüber nachdenken, wie es eigentlich kommt, dass wir Argumenten (es sind bloss Argumente!) eine derartige Macht verleihen, dass sie etwa Gerichtsfälle zu entscheiden vermögen.
Kritisches Denken einfach erklärt ist sowohl informativ als auch anregend und hilft, den menschlichen Verstand besser zu verstehen. Von der Wissenschaft können wir dabei das Prüfen lernen. "Sobald wir etwas behaupten, wäre es gut, wenn die Behauptung auch prüfbar ist."
Fazit: Ein akademisches Buch von praktischer Relevanz (eine Rarität also!), das sehr schön aufzeigt, wie und weshalb genaues Hinschauen und Nachdenken hilfreich sind.
Andreas Blessing, Philipp Barth
Kritisches Denken einfach erklärt
transcript Verlag, Bielefeld 2025
No comments:
Post a Comment