Sunday, 20 July 2025

Am Fliessband

First Things First: Bücher geht man voreingenommen an, in den meisten Fällen positiv. Im Falle des vorliegenden Romans ist es die Gelb/Rot/Schwarz-Ausstattung, die für mich den ursprünglichen März-Verlag ausmachte, von dem ich einst Fan gewesen bin, speziell wegen Christian Schultz-Gersteins Doppelkopf und Ernst Herhaus' & Jörg Schröders Siegfried.

Es sei gleich vorweggenommen: Am Fliessband ist ein wirklich toller Roman. Einerseits, weil Upton Sinclair schreiben kann, und andererseits, weil dieser Roman exzellent gegliedert ist, die kurzen Kapitel machen das Lesen zu einer wahren Freude.

Geschildert werden die Anfänge des eigenwilligen Tüftlers Henry Ford, der sich von niemandem dreinreden liess, einen ungebildeten Verstand besass, der weniger aus Fragen, denn aus Überzeugungen bestand. Nichtsdestotrotz war er ein komplexer Mensch, wenn er auch nichts davon wusste – es zeigte sich in seinem Handeln.

Parallel zu Fords Aufstieg wird auch der Aufstieg des aus einfachen Verhältnissen stammenden Abner Shutt geschildert. Aufrichtig und bescheiden, ein Arbeiter, der zupackt, sich mit der Ford Motor Company identifiziert. Wie Henry Ford ist auch Abner Shutt kein Denker, beide funktionieren auf der Basis von recht simplen Überzeugungen.

Henry Ford war Pazifist, dann begann er die Massenproduktion von U-Boot-Zerstörern. Der 'Rasierklingen-König' Gillette, eine sensiblen Seele, versuchte Ford den Irrsinn des Wettbewerbssystems begreiflich zu machen, doch er stiess auf taube Ohren.

Es ist erstaunlich, dass man mit Sturheit so weit (wirtschaftlich gesehen) kommen kann. Daraus lässt sich unschwer schliessen, dass den Gescheiteren und Sensibleren nur im Ausnahmefall eine Karriere offensteht. Und dass Anständigkeit, wie Abner Shutt erfahren musste, dabei ein Hindernis ist.

Am Fliessband sei "nicht zuletzt ein noch heute aktuelles Psychogramm einflussreicher Soziopathen", so der Verlag. Das trifft es gut; ich fühlte mich gelegentlich an den Hobby-Golfer aus Queens erinnert. "Er räumte gehörig auf. Wer nicht ganz und gar zu ihm stand, flog raus." Oder: "... Henry tat so, als wüsste er nichts von diesen Dingen, die auf seinen ausdrücklichen Befehl geschahen. Er versprach eine Untersuchung, unternahm aber nichts."

Darüber hinaus ist Am Fliessband auch ein erhellendes Stück Sozialgeschichte. "Sie lebten in einer Hierarchie, in der gesellschaftlicher Rang sich nach dem Einkommen richtet." Und so recht eigentlich ist es dieses Einkommen respektive das Geld, das wir zum Gott unseres Trachtens gemacht haben, und das uns gefangen hält, nicht nur die Armen, auch die Reichen, wie Upton Sinclair am Beispiel des Milliardärs Henry Ford eindrücklich vorführt.

"Er hatte mit so wunderbaren Idealen begonnen, mit so viel Grossmut im Herzen, mit so vielen Entschlüssen, die erwarten liessen, sein Leben werde ein gutes sein. Nun war er Milliardär, und sein Geld hielt ihn gefangen wie das Spinnennetz die Fliege. der mächtigste Mann der Welt zappelte hilflos in der Faust seiner Dollarmilliarde." Das klassische Frankenstein-Syndrom: Der Mensch erschafft sich eine Welt nach seinen Wünschen und wird dann ihr Gefangener.

Im Falle von Henry Ford zeigte sich das auch darin, dass während der Weltwirtschaftskrise auf demonstrierende Arbeiter geschossen wurde, die Löhne mussten runter, es gab Arbeits- und Obdachlose zuhauf. Doch auch Widerstand regte sich, Gewerkschaften bildeten sich, auch ein Sohn von Abner Shutt schliesst sich ihnen an.

Am Fliessband lebt nicht nur vom Erzähltalent des Autors, sondern auch von dessen zutiefst menschlicher Anteilnahme sowie seiner ausgezeichneten Beobachtungsgabe, die auch klar erkennt, dass Geld definitiv den Charakter verdirbt. Dass aus dem idealistisch gestarteten Henry Ford ein Antisemit, Verschwörungstheoretiker und Ku-Klux-Klan-Sympathisant hat werden können, lässt sich nur mit seinem Erfolg und dem damit einhergehenden Reichtum erklären.

Ein Klassiker, also zeitlos.

Upton Sinclair
Am Fliessband
März Verlag, Berlin 2025

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