In der Einleitung nimmt Rainer Mühlhoff auch Bezug auf das Wüten von Elon Musks DOGE (Department of Government Efficiency), einer Zertrümmerungsmaschine sondergleichen, die als effizient zu bezeichnen keinem halbwegs zivilisierten Wesen einfallen würde, und führt dabei vor, was Faschismus heutzutage ausmacht: Antidemokratisches Wirken, Gewaltbereitschaft, der Einsatz von Technologie als Machtinstrument.
Grundlegend für den Umgang des Menschen mit der Welt, inklusive der KI, ist die Projektion. Als Beispiel möge der Aufmerksamkeitsjunkie im Weissen Haus gelten, der mit seinen zahlreichen Invektiven immer nur sich selber beschreibt. Anthropomorphisierung nennt der Autor das Phänomen in Bezug auf KI: alles wird vermenschlicht. Wie heisst es doch so treffend im Talmud: We do not see things as they are, we see things as we are. Wobei auch gilt: "Was immer projiziert wird, kann übertrieben werden."
Man kann dieses Phänomen der Projektion nicht genug betonen, da die Sichtweise von KI wesentlich in der Persönlichkeit der sie Beurteilenden liegt. So hat der Medienwissenschaftler Evgeny Morozov von Solutionismus gesprochen. "Solutionismus beschreibt die Ideologie, die komplexe gesellschaftliche Probleme auf rein technische Herausforderungen reduziert ...". Nicht, dass dies etwas Neues wäre: Wer sich vorwiegend am Resultat orientiert, wird fast zwangsläufig den Weg dorthin ausser Acht lassen.
Rainer Mühlhoff unterscheidet symbolische und subsymbolische KI. Erstere meint maschinenlesbare Wenn-Dann-Regeln, das zentrale Merkmal subsymbolischer KI ist die Probabilität: sie liefert Aussagen über Wahrscheinlichkeiten. Wenn wir heute von KI sprechen, meinen wir meist subsymbolische KI-Systeme, die auf riesigen Datenmengen basieren.
Den Rechtsstaat kennzeichnet nicht zuletzt, "dass Verfahren rechtmässig und fair ablaufen müssen." Dies (Was ist schon fair?) ist bereits ohne KI nicht leicht zu bewerkstelligen: mit KI ist jedoch der sogenannte Bürokratieabbau weit willkürlicher, da etwa auf individuelle Besonderheiten schlicht nicht Rücksicht genommen werden kann.
Am Rande: So differenziert der Autor in Sachen KI argumentiert, hinsichtlich des Rechtsstaats und der Demokratie ist das weit weniger der Fall. Beides sind meines Erachtens bestenfalls idealistische Zielvorstellungen, doch keineswegs Realität, da im Kapitalismus das Geld und nicht etwa das Volk herrscht.
"Der KI-Hype im öffentlichen Diskurs" lautet einer der Titel, der mit dem Satz "Seit dem Durchbruch von Deep Learning in den 2010er Jahren ist KI ein Containerbegriff mit gewaltigem Marketingpotential geworden." sehr schön zusammenfasst, was unsere Zeit wesentlich ausmacht: Hauptsache, es lässt sich verkaufen.
Rainer Mühlhoff ist Professor für Ethik und kritische Theorien der Künstlichen Intelligenz an der Universität Osnabrück und so kann es nicht ausbleiben, dass er sich auch ausführlich mit den Ideologien hinter dem KI-Hype auseinandersetzt, die von einem Menschenbild geprägt sind, das mir persönlich fremder nicht sein könnte. Ich wähnte mich gelegentlich in einem Science Fiction.
Künstliche Intelligenz und der neue Faschismus ist eine differenzierte Auseinandersetzung mit Ideen und Konzepten, die mir gelegentlich aus der Zeit gefallen vorgekommen ist, etwa wenn auf die begriffliche Unterscheidung von agonistischen und antagonistischen Konflikten der Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe hingewiesen wird. Bei der agonistischen Variante streitet man zivilisiert auf der Grundlage demokratischer Prinzipien, bei der antagonistischen Variante ist die Vernichtung des Gegners das Ziel. In meiner Wahrnehmung ist die antagonistische Variante schon längst Realität.
Rainer Mühlhoff plädiert dafür, antidemokratische Kräfte zu isolieren. Und anders über KI-Technologie zu sprechen, also die wirklich wesentlichen Fragen zu stellen, als da wären: "Wer profitiert? Wer profitiert nicht? Wer wird nicht einmal mehr angehört bzw. fällt von vorneherein aus dem Raster?"
Fazit: Erhellende, hilfreiche Aufklärung.
Rainer Mühlhoff
Künstliche Intelligenz und der neue Faschismus
Reclam, Ditzingen 2025