Sunday, 3 August 2025

Die acht Leben der Frau Mook

Im Pflegeheim Golden Sunset wird den Bewohnern angeboten, ihre Nachrufe zu schreiben. Unter ihnen ist auch Frau Mook, deren Lebensgeschichte ein ganzes Jahrhundert umfasst. Selbstbewusst, clever, verschmitzt, verfügt sie über vielfältige Kenntnisse und eine Lebenshaltung, die geprägt ist von ihrem ungebildeten Vater und ihrer sehr gebildeten Mutter.

An der nordkoreanischen Grenze tritt sie auf eine Mine und wird von einer Geisterjungfrau gerettet, die verdächtigt wird, aus dem Norden zu stammen. In Heoguri, einem kleinen Bauerndorf bei Pjöngjang, nimmt sie mit ihrer Mutter zusammen bei einem Pastor Englischstunden. Grossartig, wie dieser 'lockige Rotschopf' geschildert wird, der die Kleine auch für Shakespeare zu begeistern wusste, "weil er seine Dramen immer mit Liebe, Tod und Verrat aufmöbelte, zum Beispiel in Romeo und Julia und Othello."

Grossartig auch, wie die Mutter der Tochter erklärt, warum Sprache wichtig ist. "Worte sind nicht nur Worte, mein Schatz. Sie sind viel mehr als ein einfaches Werkzeug, um deine Absichten zu vermitteln. Worte können deine Art zu denken beeinflussen, und du kannst dank ihnen beeinflussen, wie andere denken. Das ist niemals eine Einbahnstrasse."

Anfang der 1950er Jahre. Der Koreakrieg. Mit Hunderten von Menschen flüchtet sie auf Güterwagen in den Süden, wo sie sich als Junge ausgibt und als inoffizieller Leiter und Übersetzer in einem sogenannten Trosthaus angestellt wird, wo Frauen als "den für die Yankees reservierten Kriegsproviant" gefangen gehalten wurden. Unter den Mädchen war auch die ungemein begabte Geschichten-Erzählerin Yongmal, die einst einer arrangierten Heirat entfliehen wollte, die sie in der Folge zu schätzen begann. 

Diese Ehe wird auch aus der Sicht des Ehemanns geschildert. Sehr berührend und dabei deutlich machend, wie unsere Vorstellungen von der Realität korrigiert werden, auch wenn diese nicht wirklich greifbar ist. Was hat wirklich stattgefunden, was ist imaginiert? Man weiss es nicht so recht, es bleibt in der Schwebe. Und nicht zuletzt dies macht den Reiz dieses Romans aus. Nein, nicht nur, es ist auch der Ton, der Rhythmus, die Unverblümtheit, die Frische, die diesen Text zur einer packenden Lektüre machen.

"Gutes Kino kann dich mühelos an einen anderen Ort und in eine andere Zeit befördern", sagt ihr Mann mit einem wehmütigen Seufzen. "Wie traurig dass die Partei heutzutage jeden Film in ihr politisches Schema presst." Auch Die acht Leben der Frau Mook befördert uns an einen anderen Ort und in eine andere Zeit. Und passt in kein vorgefertigtes Schema.

"Yongmal und ich ähnelten uns in vielem. Wir seien beide klug und stur, sagten sie. Wir weigerten uns, vor den Trosträubern Tränen zu zeigen. Wir sahen sogar ähnlich aus: etwa gleich gross und schwer, mit hohen Wangenknochen und leicht eckigem Kinn, das die Männer auffallend und abschreckend fanden."
Das Schicksal der Mädchen im Bordell ist brutal, einige sterben, unter ihnen auch Yongmal.

Als dann jedoch Frau Choi ihre Geschichte erzählt, sie sei eine Hochstaplerin, keine Spionin, sagte sie, erwähnt sie auch, dass sie zusammen mit Yongmal und vielen anderen koreanischen Mädchen als Trostfrauen zum Militärstützpunkt der kaiserlichen japanischen Armee nach Semaran in Indonesien verschleppt worden sei. Mit anderen Worten: Es ist ein ziemliches Verwirrspiel, dass die Autorin hier vorführt. Und zwar ausgesprochen gekonnt.

Der Koreakrieg endet mit der Teilung des Landes. 'Das Arbeiterparadies auf Erden' beflügelte damals die Menschen im Norden, die sich dann schnell ans gegenseitige Belauschen gewöhnten, dieses Kontrollinstrument kommunistischer Herrschaft weltweit. Kinder werden regelrecht abgerichtet; sie sollen bei Hinrichtungen dabei sein. Man lernt zu tun als ob. "Die Lektion im Weinen erwies sich als nützlich, vor allem später, als der Oberste Führer, den die Menschen stillschweigend für unsterblich gehalten hatten, starb."  

Die acht Leben der Frau Mook ist clever, imaginativ, witzig und reich an vielfältigen Lebensweisheiten. "Aimé Adel hat einmal gesagt, die Ehe sei eine Reise vom Aussergewöhnlichen zum Gewöhnlichen. ein stetes, tropfenweises Erkennen, dass das, was du einst für so besonders gehalten hast, nichts weiter als Mittelmass ist." Auch wenn man meist nicht so recht weiss, ob das wirklich so gewesen sein kann, ist vieles in diesem Roman wirklich passiert, wie die Autorin schreibt.

Mirinae Lee
Die acht Leben der Frau Mook
Unionsverlag, Zürich 2025

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