Juni 1956, Connecticut. Joe Bermans Frau Mary ist gestorben; er ist 59, seine Tochter, die ihn zu sich nehmen will, ist gerade abgefahren. Er ist allein, verflucht Gott, auf jiddisch, was es "persönlicher und ehrlicher" macht. Autor Edward Lewis Wallant schildert seinen Protagonisten als eigenbrötlerisch, auch telefoniert er nicht gern. "Von Angesicht zu Angesicht war seine Vorstellung von einem Gespräch."
Ein paar Monate zuvor. Nach dem Abendessen schlägt Joe Mary vor, ihre Tochter Debby in Kalifornien zu besuchen. Er ist der Mann der hochfliegenden Pläne, sie orientiert sich an Konkretem. "Berman, der ihr Einschwenken auf Konkretes als Zustimmung erkannte, begann zu lachen."
Es ist ungemein berührend wie der Autor Marys Sterben schildert, wie Joe spürt, dass sie ihn verlässt. Auch sein Arbeitskollege Riebold – die beiden führen zusammen ein Klempnergeschäft – geht einfühlsam mit Joe um. Die Arbeit werde ihn ablenken, meint er. Und so ist denn auch. "Sosehr er seinen Beruf immer gehasst hatte, vermittelte ihm die Arbeit doch eine angenehme professionelle Gewissheit. Er kannte sie, sie barg keine Geheimnisse für ihn, und allein deswegen war sie ihm erträglich gewesen."
Er hadert mit Gott. Jeden Tag hat er gebetet, war freundlich, hatte sich nichts zu schulden kommen lassen, und dann nimmt er ihm seine Frau. "Mit dir bin ich fertig, hörst du, fertig!" Er erinnert sich an seinen Krankenhausaufenthalt von vor zwei Jahren, an die damaligen Schmerzen, die strafende Hand Gottes.
Des Menschen Jahreszeit operiert mit Rückblenden, inklusive Joes Zeit in der Ukraine. Sein Sohn Marvin ist im Krieg zu Tode gekommen. Joe ruft Gott um Hilfe an, fühlt sich schuldig, weil er seinen Sohn weniger geliebt hat als seine Töchter. Trauer und Reue quälen ihn. "So ein Schmerz, so ein Schmerz. Nie hätte er sich träumen lassen, dass es so einen Schmerz geben kann."
Ein strafender Gott, ein Leben voller Schmerzen, gehören zu den beklemmenden Hauptthemen dieses eindringlichen Romans, die Edward Lewis Wallant anhand der glücklichen Ehe von Joe und Mary, die so recht eigentlich gar nicht hätte sein sollen (Joe war keineswegs der Wunschkandidat von Mary), schildert, die dann mit Marys Tod tragisch endet.
Seine Tochter sorgt sich um den nun alleinstehenden Vater, rät ihm, einen Untermieter aufzunehmen. Er schaut sich mehrere Bewerber an, entscheidet sich dann für einen, den er schon bald wieder rauswirft. Genauso geschieht es dem Nächsten. Joe Berman erträgt niemanden um sich rum. Er leidet unter heftigen Stimmungsschwankungen, die sich gelegentlich in Aggressionen entladen. Besonders der redselige Riebold nimmt diese Stimmungen instinktiv wahr.
Er ist nicht bei sich, macht sich aggressiv über die Putzfrau her. Riebold verhält sich wiederum einfühlsam und rücksichtsvoll, gleichsam therapeutisch. Doch das ärgert Joe Berman. Auch zusammen mit seiner Tochter trauern mag er nicht. "Ich kann dir nicht trauern helfen, ich kann nicht mit dir traurig sein. Ich bin eine Million Meilen unterhalb von traurig."
Eine Zeitlang findet er Trost beim Fernsehen. Auch der Rabbiner sucht ihn auf, doch Joe will nichts von ihm hören. Doch dann erlebt er eine Verwandlung. Joes Vorstellung von Gott mit Bart ist weg. "Es ist wie ein Licht, das nicht lang genug scheint ...".
Des Menschen Jahreszeit erzählt davon, wie die herkömmlichen Gewissheiten einen Mann verzweifeln lassen und wie eine neue Erfahrung ihn rettet. Differenziert, sensibel und eindrücklich.
Edward Lewis Wallant
Des Menschen Jahreszeit
Wagenbach Verlag, Berlin 2025
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