Wednesday, 22 January 2020

Alberto Giacometti & Isaku Yanaihara

Ich erwähnte, dass ich niemals einen Chinesen oder Japaner gut gekannt hätte, während er über einige Jahre mit Isaku Yanaihara eng befreundet gewesen war, dem japanischen Professor, der in dieser Zeit für viele Bilder und Skulpturen Modell gesessen hatte. Ich fragte, ob er jemals einen Unterschied zwischen sich und Yanaihara empfunden habe, eine grundlegende Verschiedenheit in ihren instinktiven Verhaltensweisen und Reaktionen, eine Verschiedenheit, die auf die Unterschiede in Herkunft, Nationalität und Rasse hätten zurückgeführt werden können.

"Überhaupt nicht", sagte er. "Er schien genau wie ich. In der Tat begann ich sogar, ihn als Norm und nicht als Ausnahme zu sehen, weil ich so oft mit ihm zusammen war. Wir waren immer zusammen: im Atelier, im Café, im Dôme und im Coupole, in Nachtklubs. Wir waren so oft zusammen, dass ich deshalb eines Tages ein merkwürdiges Erlebnis hatte. Yanaihara sass mir Modell, und plötzlich kam Genet ins Atelier. Ich dachte, er sähe sehr seltsam aus, mit einem so runden, sehr rosigem Gesicht und den vollen Lippen. Aber ich erwähnte nichts davon. Dann kam Diego ins Atelier. Und ich hatte das gleiche Gefühl. Auch sein Gesicht sah sehr rosig und rund aus, und seine Lippen wirkten sehr voll. Dann wurde mir plötzlich klar, dass ich Genet und Diego so sah, wie sie für Yanaihara ausgesehen haben mussten. Ich hatte mich so lange und so hart auf Yanaiharas Gesicht konzentriert, dass es für mich zur Norm geworden war, und für einen kleinen Moment – es war ein Eindruck, der nur kurz anhielt – konnte ich Weisse so sehen, wie sie Nichtweissen erscheinen müssen."

James Lord
Alberto Giacometti. Ein Portrait

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