Wednesday, 8 January 2020

China 2049

"Wie Europa versagt", heisst der Untertitel von Martin Winters China 2049, und da ich das auch so sehe, jedoch wenig von Politik verstehe (ich begreife sie wesentlich als eitles Imponiergehabe, und ja, ich weiss, dass sie oft gravierende Konsequenzen hat), bin ich gespannt, was ein erfahrener Journalist (Martin Winter hat fast drei Jahrzehnte erst für die 'Frankfurter Rundschau' und dann für die 'Süddeutsche Zeitung' aus Bonn, Washington und Brüssel berichtet) dazu zu sagen hat. 

Die ersten paar Seiten von China 2049 lesen sich so, wie gute Sachbücher sich eben lesen: differenziert und wenig konkret. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass viele gescheite Leute viele gescheite Studien und Analysen zu China (und vielem anderen) verfassen, die folgenlos bleiben. Was so recht eigentlich die Regel ist, denn der Mensch ist so – seinen Einsichten folgt er erst, wenn es ums eigene Überleben geht. Und selbst dann nicht immer (man denke an Süchtige).

Es ist anregend und konventionell (in der Art von gut verdienenden Mitarbeitern von Think Tanks), wie der bestens unterrichtete Martin Winter sich die künftige Weltlage vorstellt, denn er geht davon aus, dass Politiker Politik machen und strategische Überlegungen anstellen, wohin die Reise gehen soll. Natürlich weiss auch Herr Winter, dass das niemand wissen kann, doch Planspiele sind reizvoll, besonders natürlich die, welche auf einer möglichst nüchternen Analyse gründen.

Das geopolitische Wissen des Autors ist beeindruckend, besonders natürlich für die, welche es nicht wirklich beurteilen können – also für mich. Doch so spannend sich China 2049 auch liest, dass Weltpolitik von strategischen Überlegungen geleitet wird, bezweifle ich. Das meint nicht, dass strategisches Denken irrelevant ist, es meint, dass der Mensch meist erst im Nachhinein erkennt, was er eigentlich tut.

"Die Europäer haben den Aufstieg Chinas zur Weltmacht verschlafen", konstatiert Martin Winter und zeigt auf, dass die Europäer in Kommissionen und Denkfabriken zwar viel Papier produziert haben, doch das war's dann auch schon. Dass China sich immer mehr ausbreitete, so möchte man anfügen, war auch denen klar, die sich nicht gross für Politik interessieren – chinesisches Geld kauft laufend westliche Firmen auf und bemächtigt sich afrikanischer Rohstoffe.

Mir gefällt an diesem Buch, dass es mich auf eine spannende geopolitische Reise mitnimmt, mich stören hingegen Sätze wie diese: "Das europäische Modell aus Freiheit des Einzelnen, Liberalität in der Wirtschaft und Vielfalt in der Politik, für das Europäer jahrhundertelang gestritten und oft auch gelitten haben." Von Freiheit spüren die Europäer wenig, hingegen viel vom Eingespanntsein in einen Überlebenskampf (wie übrigens auch die Chinesen), die sogenannte liberale Wirtschaftsordnung zwingt alle in ihr Tätigen zu spuren (auch das ist in China ähnlich) und was die Vielfalt in der Politik angeht   gimme a break!

Was China vom Rest der Welt unterscheidet, ist, dass es eine Diktatur ist und sich einer Diplomatie bedient, die das hervorragend verschleiert. Martin Winter behauptet, die Chinesen hätten "das Ziel, die Idee der freiheitlichen Demokratie durch die des chinesischen Weges zu ersetzen." Zweifellos hat er damit (dem Ideologie-Wettstreit) Recht, doch die Machthaber in Peking sind mindestens genauso intensiv damit beschäftigt, dass ihr System nicht auseinander bricht.

"Wenn Europa nicht von China verspeist werden will, muss es geostrategisch denken und handeln. Das bedeutet einen Mentalitätswechsel, denn das Selbstverständnis einer Macht, die von sich aus lenkend in die Ordnung der Welt eingreift, gehört nicht zur DNA der Europäischen Union." Das Problem ist nur, dass die Mentalität sich, wenn überhaupt, nur sehr schwer ändern lässt.

Martin Winter
China 2049
Wie Europa versagt
Süddeutsche Zeitung Edition, München 2019

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