Das Positive zuerst: Die beiden Autoren schreiben gut, anschaulich und nachvollziehbar. Mein Problem liegt bei Aussagen wie "Es steht das Vertrauen in die politische Weisheit der 'Vielen' auf dem Spiel." (Michael Meyen), die so tut, als ob es Demokratie, die eine echte Herrschaft des Volkes wäre, irgendwo geben würde ("the best democracy money can buy" hat Greg Palast einmal die amerikanische Variante genannt) und bei der typisch journalistischen Personalisierung von Allem und Jedem: "In dieser Erzählung von Merkel-Macron-Steinmeier ..." (Alexis Mirbach). In meiner Welt gibt es niemanden, der sich um die Meinungen von Politikern scheren, geschweige denn sie zitieren würde. Mit anderen Worten: Die sogenannten Gefährder der sogenannten Demokratie sind das Resultat "der politischen Weisheit der Vielen" oder, weniger prosaisch, der Mehrheit der bei Wahlen Stimmenden (so ist jedenfalls zu vermuten).
Das Elend der Medien lehnt sich an Bourdieus La misère du monde an, das, kurz zusammen gefasst, propagierte: "weg von Konflikten, flüchtigen Berichten und Dramen, hin zum Alltag." So sehr mir das zusagt, in einer Gesellschaft, die auf dem Sich-Verkaufen, also der Prostitution, aufbaut, scheint mir das weitgehend illusorisch. Trotzdem: Dieses Buch gehört zu den spannendsten Medienbüchern, die ich kenne.
Die Autoren haben ganz unterschiedliche Medienleute befragt und das Buch in Themenblöcke gegliedert. Was der öffentliche Rundfunk braucht, um seinen Auftrag zu erfüllen; Die Regionalpresse, mit DDR-Erfahrung von Innen gesehen; Sieben Stimmen vom Rand des journalistischen Feldes; Vom Kampf um Definitionsmacht; Linker Aktivismus von Kreuzberg bis Kurdistan; Medienkritik von unten; Corona-Gespräche in München und Oberbayern; Vier Stimmen aus dem Osten, dreissig Jahre danach; Am Rande der Wahrheit in Hildburghausen.
Michael Meyen weist in seinem Vorwort unter anderem auf dies hin: "Eine Angst geht um in der Wissenschaft, die sich schwer greifen lässt und einen eigenen Forschungsverbund verdienen würde oder wenigstens ein eigenes Buch." Ob man damit dieser Angst, die sich wesentlich als Selbstzensur äussert, beikommen kann, sei einmal dahingestellt, doch darum geht es in diesem Buch ja nicht. Und Alexis Mirbach erläutert in seinem einführenden Beitrag "Jenseits von Gut und Böse. Warum das Elend der Medien viele Gesichter hat", dass sie Menschen befragt hätten, die mit dem Status Quo unzufrieden sind, denn sie wollten deren Kritik verstehen. "Wir haben mit den Befragten folglich nicht Pro und Contra diskutiert, sondern sie wohlwollend unterstützt." Ein mir sympathischer Ansatz.
Die Interviews geben ein ziemlich umfassendes Bild von den vielen Facetten der Medien. Wer sich derart intensiv und ausführlich mit der Funktionsweise der Medien auseinandersetzt wie die an diesem Buch Beteiligten es tun, geht ziemlich ernüchtert durch die Welt – und das ist gut so. Besonders verdienstvoll finde ich, dass ich selten so deutlich vorgeführt gekriegt habe, dass und wie die Medien als Stützen der herrschenden Ordnung fungieren. Und dass Medienleute nicht anders funktionieren als alle anderen auch. "Menschen, die am Machtpol des Feldes sind oder nicht sehr weit davon weg, suchen Nachfolger, die so ähnlich ticken wie sie selbst."
Das Elend der Medien ist auch ein (in Massen) grundsätzliches Buch. Auch wenn die Probleme überall ganz ähnlich sind, genüge es nicht, "Menschen zu haben, die sich für 'ihr' Thema engagieren. Diversität braucht eine materielle Basis und dafür möglicherweise ein Mediensystem, das nicht am Gewinn ausgerichtet ist und auch nicht an den eher kurzfristigen Förderungszielen der Politik", so Alexis Mirbach. 'Möglicherweise' gehörte meines Erachtens gestrichen, denn solange die Gewinnorientierung das Leitprinzip ist, kann man sich so recht eigentlich alle Gesellschaftsdebatten sparen.
"Wahrhaftigkeit, Aufrichtigkeit, Sachbezogenheit", antwortet Volker Bräutigam auf die Frage, was für ihn guter Nachrichtenjournalismus sei. Das sind so recht eigentlich Eigenschaften, die überall, also in allen gesellschaftlichen Bereichen, gelten sollten. Dass sie es nicht tun, sagt mehr über unsere Welt aus, als alle gescheiten Analysen zusammen. Was also ist zu tun? Sich um "Wahrhaftigkeit, Aufrichtigkeit, Sachbezogenheit" bemühen, in allen Bereichen, auch im Journalismus. Das Elend der Medien leistet dazu einen wertvollen Beitrag.
Fazit: Differenziert und vielfältig; eine bessere und umfassendere Darstellung darüber, wie die modernen Medien funktionieren, kenne ich zur Zeit nicht.
Alexis von Mirbach / Michael Meyen
Das Elend der Medien
Schlechte Nachrichten für den Journalismus
Herbert von Halem Verlag, Köln 2021
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