Gleich zu Beginn dieses Buchs zitiert die Autorin Niklas Luhmann. "Was wir über unserer Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien", und fragt sich dann, ob wir uns wirklich auf diese Medien verlassen können. "Ist das, was wir durch die Medien erfahren, tatsächlich die Wirklichkeit? Oder ist sie verzerrt, verformt oder gar verfälscht?" Nun ja, Luhmann hat die Frage zumindest teilweise beantwortet, als er meinte, dass wir zwar den Medien misstrauten, aber trotzdem unser Weltbild aus ihnen beziehen. Verzerrt, verformt und auch verfälscht natürlich, das wiederum sagt nicht Luhmann, das sage ich, denn die Medienleute sind genauso überfordert wie wir alle, wenn es darum geht, uns ein halbwegs akkurates Bild der Welt zu vermitteln, schliesslich wissen Journalisten, wie wir alle, nur selten Bescheid über ihre eigenen Voreingenommenheiten. Doch das wäre ein anderes Buch ...
Deutsch gelernt hat Danhong Zhang in Peking, wo sie im Alter von zwölf verschiedene fremdartige Sprachen nachplappern musste und dabei besonderen Gefallen fand "an einer etwas metallischen und sehr rhythmischen Sprache", die sich als Deutsch herausstellte. Schon interessant, wie Deutsch in chinesischen Ohren klingt!
Sie landet bei der Deutschen Welle in Köln, erlebt zuerst alles ganz positiv, wundert sich aber, wie grosszügig man da mit Steuergeldern umgeht. Darüber wundern sich auch viele Deutsche. Auch trifft sie als Chinesin in Deutschland auf Vorurteile, was allerdings wenig bemerkenswert ist, denn die Menschen sind nun einmal von Vorstellungen, ungeprüften Meinungen und Bildern im Kopf geleitet, auf der ganzen Welt.
Mit der Zeit stört sie sich über das Bild, das die deutschen Medien von China zeichnen. Als sie 2006 selber in Peking ist, "fand ich ein völlig anderes Land vor als das in dem Bild, das die deutschen Medien gezeichnet hatten." Das ist wenig verwunderlich, denn die Vorstellung, dass die Medien imstande sein könnten, die Realität abzubilden, ist schlicht absurd. Wer mit einer solchen Erwartungshaltung durch die Welt geht, versteht nicht, wie die Medien funktionieren.
Die Medien haben ganz unterschiedliche Aufgaben. Die meisten von ihnen kommen in der Journalistenausbildung bestenfalls am Rande vor. Unterhaltung, Ablenkung, die Herstellung von gesellschaftlicher Stabilität. Vor allem aber müssen sie profitabel sein.
In sogenannten Demokratien herrscht das Geld und nicht das Volk. Doch die Meinungsäusserungsfreiheit ist gewährleistet. In der Praxis heisst das: Man darf zwar sagen, was man denkt, wenn man aber von der Mehrheitsmeinung abweicht, hat das selbstverständlich Konsequenzen. Wer das anders sieht, hat nicht begriffen, wie der Mensch tickt. Dieser sucht nämlich nicht die Wahrheit, sondern Sicherheit. Überall auf der Welt.
"Für alle negativen Entwicklungen konnte ein Zusammenhang zum fernen China hergestellt werden, das war zumindest mein Eindruck." Das ist zweifellos so, allerdings liesse sich das genauso gut über die USA, Russland oder Israel sagen. Den deutschen Medien vorzuwerfen, dass sie im richtigen Leben weit hinter ihren Idealen zurückbleiben. ist hingegen wohlfeil, denn diese Diskrepanz ist normal. Ist sie auch gut? Natürlich nicht. Und genau deswegen lohnt sich auch dieses Buch, das, wie der Untertitel sagt, Erfahrungen einer Journalistin beschreibt.
Danhong Zhang macht in Deutschland die Erfahrung, die Menschen in fremden Ländern oft machen. Für alles, was in China geschieht, wird sie persönlich verantwortlich gemacht. Schlimm ist das besonders für ihre Tochter. Da ich selber viele Jahre in mir fremden Ländern zugebracht habe, kann ich das bestens nachvollziehen. Ich kann mich nicht erinnern, jemals auf jemanden getroffen zu sein, dessen Bild der Schweiz mit meinem auch nur in etwa vergleichbar gewesen wäre.
Der Hauptteil von Nur die richtige Meinung ist frei handelt jedoch von der Causa Zhang, die ein Lehrstück über die Durchsetzung von Machtinteressen ist. Falun Gong, eine Bewegung, die von der chinesischen Regierung bekämpft wird, bemüht sich um die Berichterstattung über eine Falun Gong-Veranstaltung, wird aber von Frau Zhang bei der Deutschen Welle abgewiesen. Was dann geschieht, ist ein detaillierter und höchst aufschlussreicher Bericht über den Kampf der Interessen, hat allerdings wenig mit Meinungsfreiheit und viel mit unserer Wettbewerbswelt zu tun, in der Rückgrat zu zeigen ausgesprochen selten ist.
"Denn den gängigen Stereotypen hatte ich den Kampf angesagt", schreibt sie einmal. Damit nimmt sie für sich in Anspruch, die Dinge vorurteilsfreier zu beurteilen als die Mainstream Medien. Als sie dann aber fragt: "Und ist da überhaupt noch ein Moderator, den man nicht links einordnen würde?", denkt es so in mir: Wenn das nicht ein gängiges Stereotyp ist, was dann? Und: Wie rechts muss man eigentlich sein, um deutsche Fernsehmoderatoren als links zu begreifen?
PS: "Nichts darf ansatzweise so gedeutet werden, dass Putin rationale Gründe haben könnte, einen Krieg (mit der Ukraine) vom Zaum zu brechen", macht klar, dass es in diesem Buch nur vordergründig um Meinungsfreiheit geht. Wer mehr als zwei Jahre nach dem russischen Angriff, dessen Brutalität für alle, die wollen, zu sehen ist, solches zu Papier bringt, betreibt nichts anderes als Propaganda. Das wird den chinesischen Machthabern, die an Russlands Seite stehen, bestimmt gefallen. Und nicht zuletzt: Was Menschen denken, zeigt sich nicht in dem, was sie sagen, sondern in dem, was sie tun. Danhong Zhang lebt seit 2019 wieder in China.
Danhong Zhang
Nur die richtige Meinung ist frei
Erfahrungsbericht einer Journalistin
Fiftyfifty Verlag, Köln 2024
No comments:
Post a Comment