Wednesday, 9 April 2025

Great Story

In einer Lehrveranstaltung über internationalen Journalismus wurden die Studenten gefragt, ob sie sich tags zuvor die Nachrichten im Fernsehen angeschaut, im Radio angehört oder in der Zeitung gelesen hätten? Ja, hatten sie, alle. Was ihnen geblieben sei? Sie dachten heftig nach. Und waren nicht schlecht erstaunt, dass sie sich kaum an etwas erinnern konnten. Doch verzichten wollten sie auf die tägliche Nachrichtendosis deswegen keineswegs, schliesslich gehört (für viele) der Nachrichtenkonsum zum Tag wie das Frühstück.

Guckt man einmal eine Zeitlang bewusster hin, was uns denn da tagtäglich unter dem Stichwort Nachrichten vorgesetzt wird, ist man wenig erstaunt, dass einem kaum etwas davon im Gedächtnis haften bleibt. Alles sogenannt Wichtige findet hinter verschlossenen Türen statt, vorgesetzt werden einem Häppchen von einer Banalität, die schwer zu übertreffen ist („Was sind ihre Pläne für die Zukunft, Herr Präsident?"). John Dunning meint in seinem Krimi Deadline wirklich Brisantes (wer hat seinen Reichtum wie erworben, wer seine Nebenbuhler wie aus dem Weg geräumt? etc. etc.) komme nur ausnahmsweise in den Massenmedien vor. Zweifellos hat er Recht damit.

Auf den Punkt gebracht hat es letzthin Donald Trump, als er, am Beispiel der amerikanischen Aussenministerin (es hätte auch irgendeine andere Politikerin oder irgendein anderer Politiker sein können), die gängige Aussenpolitik kommentierte: "She goes o­n a plane, she gets off a plane, she waves, she goes there to meet some dictator . . . They talk, she leaves, she waves, the plane takes off. Nothing happens. It's a joke . . . Nothing ever happens."

Was einem (zugegeben, ich spreche von mir) eigenartigerweise im Gedächtnis bleibt, sind die Sachen, von denen man weiss, dass man nicht will, dass sie das tun: der kahlgeschorene Kopf von Britney Spears, die Streitigkeiten darüber, wo Anna Nicole Smith begraben werden soll, das neueste Werk (nein, ich habe nicht vor, es zu lesen) von Eva Hermann.

Und sonst? Mir fallen nur die allgegenwärtigen Stichworte ein. Irak, Mittlerer Osten, Iran, Afghanistan. Immer dieselben fürchterlichen Bilder und Berichte. Man hat sich daran gewöhnt. Und fühlt sich, wenn man darüber nachdenkt und Gefühle zulässt, schuldig. Das Medienbombardement, sagt einer der Teilnehmer im Kurs über internationalen Journalismus, habe dazu geführt, dass er heute solche Fernsehbilder an sich vorbeiziehen lassen könne, während er zu Abend esse. Und fügt hinzu: Eine solche Abstumpfung wäre ihm vor einigen Jahren noch unvorstellbar gewesen. Damals habe sich etwas in ihm gewehrt, zu solchen Meldungen und Bildern zu essen.

Aber da war doch noch was, ich weiss es ganz genau. Aufgeschrieben hab ich es, weil ich es partout nicht vergessen wollte. Hier ist es:

Auf CNN ein Bericht darüber, dass die USA kaum irakische Flüchtlinge aufnehmen. Eine junge Irakerin, deren Familie aus dem Land geflüchtet und, bürokratischer Hürden wegen, auf dem halben Erdball verteilt lebt, wird dazu befragt: Ja, sie habe sich damals die Befreiung von diesem schrecklichen Diktator gewünscht, doch jetzt, wo sie alles verloren, wünschte sie, die US-Invasion hätte nicht stattgefunden.

Great Story" gratuliert der CNN-Moderator seiner für diese Reportage verantwortlichen und vor Genugtuung strahlenden – nicht übertrieben, nein, das nicht, aber eben doch unübersehbar – Kollegin.

Hans Durrer, Titel-Magazin, 2007

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